Berthold Seliger
Das Geschäft mit der Musik.
Datum: 15.03.2015
Venue: Jugendkulturhaus Cairo, Würzburg
Show: Würzburger Kulturpunkte
Autor: Gerald Langer
Würzburg (music-on-net) – Im August 2013 sorgte eine kleine Neuerscheinung auf dem Büchermarkt für einen Sturm im Wasserglas.
Berthold Seliger, bis dahin überwiegend „nur“ renommierter Konzertveranstalter, hatte sein Buch „Das Geschäft mit der Musik“ – ein Insider-Bericht, veröffentlicht und darin die munter fortschreitende Kommerzialisierung der Musik und den damit einhergehenden Verlust der kulturellen Vielfalt detailliert beschrieben.
In beinahe allen großen Tages- und Wochenzeitungen, ebenso wie in Fachzeitschriften wurde daraufhin das 352 Seiten starke „Lehrbuch“ kontrovers bei deutlich mehr Zustimmung als substanzieller Kritik besprochen. Auch bei mir liegt das Buch seit einiger Zeit – allerdings lediglich „angelesen“ – im Regal.
Insofern nutze ich die heutige gemeinsame Initiative des Jugendkulturhauses Cairo, von cop-concerts und des Dachverbandes Würzburger Kulturträger für die Lesung Berthold Seligers im Rahmen der Veranstaltung Würzburger Kulturpunkte sehr gerne für etwas Nachhilfeunterricht.
Natürlich wird bei dieser Lesung – wie sollte es auch anders sein – auch gelesen. Die Lektüre des Buches bleibt auch 2 ½ Stunden später dennoch alles andere als überflüssig.
Besonders im freien Vortrag blüht Berthold Seliger auf. Hier wird dann „livehaftig“ ohne Tastatur gebloggt. Seit geraumer Zeit äußert sich Seliger immer wieder zu Themen in der Unterhaltungsbranche weitgehend ungehemmt selbstverständlich auch auf seinem persönlichen Blog.
Doch die bloße Bestätigung oder die zumindest teilweise Beipflichtung zu Positionen, wie sie Berthold Seliger als Branchenkenner offen vertritt, wird erst einmal nichts ändern an einem internationalen Kulturbetrieb, den man weltweit agierenden Unterhaltungsriesen viel zu leichtsinnig überlassen hat.
Den nachfolgenden Gliederungspunkten liegen die wesentlich erscheinenden Gedankenansätze von Berthold Seliger zugrunde. Sie werden aber von Statements des Autors dieses Beitrages ergänzt und manchmal auch überlagert. Seliger regt eben zum Nachdenken an.
Ursache für die kulturelle Misere
Die Ursache lässt sich laut Berthold Seliger an dem im Jahre 1996 in den USA beschlossenen Telecommunications Act festmachen.
Ausgerechnet der Demokrat Bill Clinton hat dieses Bundesgesetz unterzeichnet. Eigentlich sollte mehr – verbraucherfreundliche Aspekte lassen sich grundsätzlich nicht leugnen – Wettbewerb unter den Telefongesellschaften erreicht werden. In kürzester Zeit führte dieses Gesetz allerdings zur Konzentration der Macht bei wenigen, dafür umso mächtiger agierenden, Netzbetreibern.
Und das waren neben Mobilfunk- und Festnetzgesellschaften eben auch Kabel-, Satellitenanbieter, vor allem aber auch Radio- und Fernsehstationen, die heute neben den Tickethändlern – allen voran Ticketmaster und cts eventim – das große Geschäft mit der Musik in der westlichen Welt prägen und damit auch auf den europäischen und deutschen Musikmarkt strategisch Einfluss nehmen.
Clubkonzerte und Mindestlohn
Parallel zu den großen Events finden wir heute eine Veranstaltungsstruktur vor, in der kleine Clubs junge Künstler und Bands engagieren, die möglicherweise (noch) wenig angesagt sind. Diese spielen häufig vor kleinem Publikum. Selbst das weitere Herabsetzen des Ticketpreises vermag da kaum zu einer nennenswerten Publikumsmehrung zu führen.
Insofern erscheint der von Berthold Seliger favorisierte „Mindestlohn für Musiker“ in Höhe von „80 € plus!“ durchaus als „Orientierungswert“ diskutabel – allerdings in beide Richtungen, nach oben und unten. Sonst finden auch diese kleinen Konzerte bald gar nicht mehr statt. Die Ausbeutung junger Bands muss dennoch unbedingt vermieden werden. Es geht sozusagen um einen sozialen Mindeststandard, der ein Leben von der Kunst wenigstens ansatzweise ermöglichen soll.
„Musik“ hat über den ideellen künstlerischen Wert hinaus selbstverständlich auch einen Warenwert, der nicht verleugnet werden soll. Der Kunstmarkt zeigt dies doch immer wieder sehr eindrucksvoll.
Der gesellschaftliche Stellenwert von Live-Musik und Markenbewusstsein
Leider ist zu beobachten, dass der Live-Musik der Stellenwert als besonderes individuelles Kulturereignis mehr und mehr abhanden kommt.
Es gibt in Oberzentren wie Würzburg mittlerweile unwahrscheinlich viele qualitätvolle Veranstaltungen von weniger bekannten Bands, welche die vom jeweiligen Veranstalter vermuteten Zielgruppen leider nicht immer in der kalkulierten oder erhofften Größenordnung erreichen. Das Tag und Nacht bereitstehende Informationsangebot der einschlägigen sozialen Netzwerke samt Youtube scheint dabei häufig ins Leere zu laufen. Selektiert wird offensichtlich überwiegend unter dem Aspekt der gerade angesagten Marke.
Manche Konzertangebote sind damit für Angehörige einer bestimmten – finanziell entsprechend leistungsfähigen – Personengruppe sozusagen ein Muss, um weiterhin Teil dieser Gruppe zu bleiben.
Tricks bei der Kalkulation von Ticketpreisen
Solange wir Konzertveranstaltungen besuchen, deren „Netto-Ticketpreise“ mit geradezu unanständigen Zuschlägen versehen werden, die dabei den vollkommen risikofrei agierenden Ticketvermarkter immer reicher werden lassen, wird sich bestimmt nichts ändern.
AC/DC sind in Deutschland der jüngste Fall der geradezu hemmungslosen „Kundenschröpfung“, bei dem aus einem ursprünglichen Ticketpreis von immerhin schon satten 80 Euro durch fantasievolle Beaufschlagung mit Vorverkaufs- und Refundierungsgebühren etc. ein Bruttopreis um die 120 Euro zustande kommt. Der Wunsch, eine auseinanderbröckelnde Rockband noch einmal live erleben zu können, noch ein allerletztes Mal dabei zu sein, einfach der Glückliche zu sein, der gerade noch ein Ticket ergattern konnte, lässt die eigene kalkulatorische Vernunft manchmal in den Hintergrund treten. Der Faktor Emotionalisierung wird dabei durch die Musikindustrie schamlos ausgenutzt.
Angebot und Nachfrage regeln nun einmal den Preis. Das ist das kleine Einmaleins der Marktwirtschaft. Und solange der Kunde – egal ob er das AC/DC-Konzert oder das Rolling-Stone-Konzert besucht – irrwitzige Preise zu bezahlen bereit ist, wird sich daran auch nichts ändern. Mit unserem Kaufverhalten steuern wir alle den Musikmarkt.
Die Macht von Künstler und Publikum
Der Künstler und auch der Kunde haben bei allem Pessimismus eine nicht zu unterschätzende Machtposition. Ohne diese beiden elementaren Personengruppen gibt es definitiv keine Konzerte und damit auch keinen Ticketverkauf.
Es geht dabei nicht um eine – ohnehin nicht aufrecht zu erhaltende – Drohkulisse gegenüber der Musikindustrie, sondern um einen Appell zur Maßhaltung, um extremen Verwerfungen auf diesem kulturell geprägten Marktsektor wenigstens etwas Einhalt zu gebieten.
Handlanger der Kommerzialisierung
Als ich heute Morgen ins Büro fuhr, grinste mich von einer Werbewand der „echte Heino“ – Markenzeichen dunkle Sonnenbrille – an. Er macht scheinbar seriös Reklame für einen deutschen Mobilfunkanbieter. Ausgerechnet der Typ, der mich schon in den 1970er Jahren mit seiner fragwürdigen Volksmusik genervt hat und heute den Wacken-Rocker mimt. Der raffinierte Marketing-Trick verschafft dem Düsseldorfer „Schlagerbäcker“ – er ist tatsächlich ausgebildeter Konditor – derzeit ein komplett neues Publikum, das den 77-Jährigen wie einen deutschen Ozzy Osbourne verehrt.
Ich musste unweigerlich an den gestern von Berthold Seliger eingespielten McDonalds-Clip mit namhaften deutschen Schauspielern denken, die aus reiner Gier, sicherlich nicht aus finanzieller Not, ihre Seele regelrecht an die Fast-Food-Kette verkaufen. Hoffentlich für einen guten Zweck!
Wie positioniert sich „music-on-net“?
Musik hat für den Autor vor allem mit ausgesprochen positiven Emotionen zu tun.
Nach all den Jahren ist es immer noch wunderbar, magische Momente in Konzerten zu erleben und anschließend mit Text und Bildern darüber zu berichten.
Es ist die bislang nicht dauerhaft zu stillende Begeisterung für die Musik, egal ob der Künstler, der dahinter steckt einen großen oder kleinen Namen trägt.
Es muss mich interessieren, mich ganz einfach berühren, ja, es muss irgendwie rocken!
Und damit ist Musik – auf Tonträger oder im Konzert – für mich nach wie vor ein hoch geschätztes Kulturgut.
Insofern hat mir Berthold Seliger’s Vortrag geholfen, mich mit „music-on-net“ erneut zu verorten.
„music-on-net“ soll auch weiterhin seinen kleinen Beitrag im vielschichtigen musikkulturellen Leben der Region und manchmal auch darüber hinaus leisten.
Und:
„Das Geschäft mit der Musik“ wurde sofort aus dem Regal entfernt und liegt jetzt auf meinem Nachttisch.
Ein wunderbares Startement von Patti Smith hat sich mir besonders eingeprägt:
„Keep your name clean. Don’t make compromises, don’t worry about making a bunch of money or being successful….“
Und dieses Motto darf ruhig für all das, was wir tun, gelten, wenn wir einigermaßen glaubhaft durchs Leben gehen wollen.