Peter Gabriel
Datum: 28.05.2023
Venue: Königsplatz München
Show: i/o – The Tour
Autor: Gerald Langer
Inhalt
Konzertbericht
Fast zehn Jahre sind seit der Tour „Back To Front: Celebrating The 25th Anniversary Of SO“ vergangen. Peter Gabriel mit Band kredenzte damals ein musikalisches Drei-Gänge-Menü. Das sorgte nicht nur für eine delikate Verköstigung unserer Gehörgänge, sondern auch für unsere Augen gab es allerhand zu sehen und zu bestaunen.
Peter Gabriel | Stuttgart 2013 | © Gerald Langer
Danach machte sich Gabriel wieder rar, war unter anderem mit den Vinyl-Reissues seines Backkataloges beschäftigt.
Schnelligkeit war ohnehin noch nie sein Ding, sondern das Feilen an den Details seiner Musik.
Im Laufe der einführenden Worte zum heutigen Auftritt am Königsplatz, pünktlich um 20:00, wird er diese besondere Eigenschaft in einem Nebensatz und im Kontext der anderen beteiligten Künstler am Gesamtkunstwerk Peter Gabriel Live 2023 einräumen.
Peter Gabriel’s Motto: Der Weg ist das Ziel
Erschienen die ersten vier Alben von Peter Gabriel nach seinem Weggang von Genesis noch in recht dichter zeitlicher Abfolge (1977-1982), vergingen bis zu seinem „Bestseller“ SO (1986), bereits vier Jahre. Mit US (1992), UP (2002) und dem Coveralbum Scratch My Back (2010) wurden die Abstände zwischen den Studioalben nochmals erheblich länger.
Seit 2022 bastelt Peter Gabriel intensiver mit seinen langjährigen Wegbegleitern Tony Levin (bass), David Rhodes (guitars) und Manu Katché (drums) sowie einigen jungen Künstler:innen an seinem neuen Album i/o (input/output), das Namen gebend auch für die bereits im November 2022 angekündigte Europa- und USA-Tour ist.
Peter Gabriel veröffentlicht seit Januar 2023 aus diesem „Entwurf eines Albums„, dessen Erscheinungstermin in den Sternen steht, immer wieder einzelne neue Tracks.
Zum Neumond gibt es die zugehörigen Bright-Side-, zum Halbmond entsprechende Dark-Side-Versionen. Als „work in progress“ darf man diese Arbeitsweise bezeichnen.
Auf der Plattform Bandcamp bekommen Mitglieder seines Full Moon Clubs, „just for a cup of coffee“ (O-Ton von Peter Gabriel), gar noch weitere besondere Häppchen gereicht.
Auf „i/o – The Tour“ ohne fertiggestelltes neues Album, aber mit exquisiter Auslese des einige Jahrzehnte umspannenden Backkatalogs
Der Ticketverkauf für i/o – Tour Tour lief in Europa bestens, auch wenn die Ticketpreise selbst dem einen oder anderen beinharten Fan tiefere Furchen auf der Stirn hinterlassen haben dürften.
Ohne abgeschlossene Albumveröffentlichung auf Tour zu gehen, ist zwar grundsätzlich mutig, allerdings weniger riskant, wenn man nebst einem formidablen Backkatalog auch noch über eine bestens eingespielte Band verfügt. Auch das ergänzende Line-Up mit vergleichsweise jungen Musiker:innen für die Konzertbühne glänzt.
Insgesamt elf neue Songs werden in die zwei abendlichen Sets eingeflochten. Tracks, die bereits im Streaming-Format zugänglich sind, bereiten den Zuhörer:innen dabei wohl kaum Schwierigkeiten in ihrer Zugänglichkeit. Gerade der Titelsong i/o hat beträchtliche Ohrwurmqualitäten.
Doch präsentiert Gabriel auch fünf, bisher noch nicht veröffentlichte, Songs, die erkennbar nicht gleich beim Publikum zünden. Man merkt es am eher höflichen Applaus. Zumindest aber lassen diese neuen Songs erahnen, wie das Spektrum des noch fertigzustellenden Albums i/o am Ende klingen könnte.
Peter Gabriel ist bekanntermaßen immer wieder für Überraschungen gut.
Insofern würde es niemanden wundern, wenn es der eine oder andere Song am Ende doch nicht auf das sehnsüchtig erwartete neue Album schaffen wird.
Die älteren Songs der Setlist klingen, oft unterlegt mit Streichern und Bläsern, wie nach einer Frischzellenkur.
„Hier kommt die Flut“ als Opener und das beklemmende „Biko“, bei dem die Band nach und nach von der Bühne geht, bis auch Manu Katché’s klagende Trommeln verstummen, setzen die Klammer um eine Setlist, die am Ende dennoch überzeugen kann.
i/o – The Tour: Bloss ein Konzert oder ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk?
Beim Könixxtreffen: 20 Jahre Virgin am 31.08.2002, ebenfalls auf dem Königsplatz München, hatte Peter Gabriel sein damals neues Album UP erstmals vor Veröffentlichung live, ebenfalls auszugsweise mit neuer Band, präsentiert.
Der Sound war damals okay, heute ist er vorzüglich, auch wenn sich nur die wenigsten Zuhörer:innen, schon allein aus geometrischen Gründen, in der Nähe der Mittelachse der gigantischen Bühnenkonstruktion befinden können.
Die Propyläen an der Westseite des Platzes, von Leo von Klenze im Auftrag von König Ludwig I. in Form eines Tempeleingangs errichtet, werden durch diesen temporären Bau nahezu komplett verdeckt. Die den Platz säumende Glyptothek und die Staatliche Antikensammlung ergänzen die klassizistische Platzgestaltung, geben dem Konzertareal in der untergehenden Abendsonne die nötige architektonische Würde.
Peter Gabriel samt Band aus annehmbarer Nähe betrachten zu können, kommt nur für die ersten Reihen im abgesperrten Auditorium vor der Bühne in Frage. Alle anderen Gäste müssen sich mit Ausschnitten von den zahlreichen LED-Panels Im Rückraum der Bühne, dem riesigen kreisförmigen Panel über der Bühne oder auf den beiden seitlichen Bewegtbildträgern begnügen.
Doch geht es bei einer derartigen Veranstaltung allein um die Musik und um diejenigen, die sie uns live präsentieren?
Das Konzept von i/o ist ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk, bei dem perfekter Live-Sound auf Videokunst trifft, die man am besten mit räumlichem Abstand betrachten kann.
Das weitläufige Areal des Königsplatzes bietet die Möglichkeit, die eigene Hör- und Sichtposition während der Veranstaltung, ohne andere Besucher:innen zu stören, zu verändern. Ich mache davon während des zweiten Sets, als die Dunkelheit einbricht, das Bühnenlicht somit noch reizvoller wird, immer wieder Gebrauch.
Die Inszenierung
Peter Gabriel liebte schon in der frühen Genesis-Ära die Inszenierung. Bei der nunmehr laufenden Tour schöpft er aus einem breiten Erfahrungsschatz publikumswirksamer Mittel.
Beim Rockpalast-Auftritt 1978 in der Essener-Grugahalle waren es orangefarbene Warnwesten, die er und seine Band trugen.
Heute bewegen sich seine Roadies unübersehbar in orangefarbenen Overalls auf der Bühne.
Ein Roadie hatte die Aufgabe, den Countdown bis zum Start des Konzertes mit dem Aufmalen der sich laufend verändernden Zeigerstellungen auf einem semitransparenten „Uhrblatt“ über der Bühne darzustellen.
Peter Gabriel selbst kommt in einem solchen Overall auf die Bühne, um das Publikum auf Deutsch zu begrüßen und auf das Programm des Abends vorzubereiten. Hier spricht ein altersweiser Mann, der selbst einige Kilo über die letzten Jahre zugelegt hat, dafür andererseits einige seiner Kopfhaare verloren hat.
Dies alles erledigt der Brite, völlig tiefenentspannt, auf so sympathische Art und Weise, die erkennen lässt, dass er stolz und dankbar zugleich für das von ihm, gemeinsam mit anderen Künstler:innen, Erreichte ist.
In Zeiten künstlicher Intelligenz sei er auch kein Avatar, sondern echt.
Der Live-Auftritt i/o trägt eindeutig Peter Gabriel’s Handschrift.
Er ist der Impulsgeber für diese Art der Verschränkung von „Klangkunst“ und darstellender (Video-)Kunst. Dieses Ineinandergreifen bleibt bei dem rund 2 ½ stündigen Event durchgehend spürbar.
Einige Exzerpte seiner frühen Musikvideos kann man dabei erkennen. Mit i/o führt Peter Gabriel die unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen nicht nur fantasievoll, sondern auch ästhetisch zusammen.
Live-Erlebnis und Dokumentation
Man darf sich durchaus die Frage stellen, ob diese Art von Eklektizismus der Live-Darbietung zwingend bedarf.
Es ist ohnenhin nur schwer vorstellbar, dass diese Tour nicht noch an einem geeigneten Ort videotechnisch festgehalten und dokumentiert wird.
Der filmische Mitschnitt von ausgewählten Standpunkten aus, ein geschickter Wechsel von Nahaufnahmen der Band und der grandiosen illuminierten Bühnenansicht lässt mich bereits jetzt ins Schwelgen geraten.
Bis dahin erinnere ich mich gerne an diesen wunderbaren Abend auf dem Münchner Königsplatz.
Denn eines ist gewiss:
Bei jedweden Produkten aus dem Hause Gabriel braucht man gehörige Geduld, wird dann aber mit Qualität belohnt.
Line-Up
Peter Gabriel: vocals, piano
Tony Levin: bass
Manu Katché: drums
David Rhodes: guitars
Don-E: keys
Richard Evans: flute, guitars
Ayanna Witter-Johnson: cello, piano, vocals
Marina Moore: violin, vocals
Josh Shpak: trumpet, french horn, keys, vocals
Setlist
Set 1
- Hier kommt die Flut
- Growing Up
- Panopticom (neu, vorveröffentlicht)
- Four Kinds of Horses (neu, vorveröffentlicht)
- i/o (neu, vorveröffentlicht)
- Digging in the Dirt
- Playing for Time (neu, vorveröffentlicht)
- Olive Tree (neu)
- Home (neu)
- Sledgehammer
Set 2
- Darkness
- Love Can Heal (neu, vorveröffentlicht)
- Road to Joy (neu)
- Don’t Give Up
- The Court (neu, vorveröffentlicht)
- Red Rain
- And Still (neu)
- Big Time
- Live and Let Live (neu)
- Solsbury Hill
Encore:
21. In Your Eyes
22. Biko
Website
Tourdaten
30.05.23
Copenhagen – Royal Arena
31.05.23
Stockholm – Avicii Arena
02.06.23
Bergen – Koengen
05.06.23
Amsterdam – Ziggo Dome
06.06.23
Antwerpen – Sportpalais
08.06.23
Zürich – Hallenstadion
10.06.23
Köln – Lanxess Arena
12.06.23
Hamburg – Barclays Arena
13.06.23
Frankfurt – Festhalle
15.06.23
Bordeaux – Arkea Arena
17.06.23
Birmingham – Utilita Arena
19.06.23
London – The O2
20.06.23
Nottingham – Motorpoint Arena
22.06.23
Glasgow – OVO Hydro
23.06.23
Manchester – AO Arena
25.06.23 Dublin – 3Arena
Tickets
https://www.eventim.de/artist/peter-gabriel/