Der „Kopf“ des Colos-Saal Aschaffenburg meldet sich zu Wort
Inhalt
Kommentar
Beim Lesen der während meines zurückliegenden Urlaubs eingegangenen E-Mails stieß ich auf einen höchst interessanten, fundierten, ausgewogenen und dennoch positiv nach vorne schauenden Beitrag zum Thema Kultur in schwierigen Zeiten von Claus Berninger.
Claus Berninger ist Geschäftsführer der Berninger Musik und Gastronomie GmbH und – ganz entscheidend – der Kopf des Colos-Saal Aschaffenburg.
Er ist ein Mann, dem die Begeisterung für sein Arbeitsfeld regelrecht ins Gesicht geschrieben ist, wenn ich mich an meine zahlreichen Besuche des Clubs für die Real Music Lovers in der Vergangenheit – für mich bis 10/2019 – zurückerinnere. Häufig stand er bereits vor der Tür zum Club oder wenigstens in der Nähe des Einlasses, empfing seine Gäste mit seinem gewinnenden Lächeln.
Das uns allseits bekannte Virus hat auch seinen Club ab März 2020 ganz massiv getroffen.
Der Colos-Saal Aschaffenburg hat sich dennoch recht schnell auf die besondere Situation eingestellt, neue Wege der Live-Darbietungen beschritten und darüber auch immer informiert.
Aber, ich will ehrlich sein, auch ich habe mich bei Inhouse-Veranstaltungen in den beiden letzten Jahren sehr zurückgehalten, selbst in den letzten Monaten, als sie ohne große Auflagen ermöglicht wurden.
Open-Airs erschienen mir bisher „als Mitglied des Clubs Ü-60 mit Boosterung“ schlichtweg die „sicheren“ Orte für Konzerterlebnisse.
Zudem sorgen bei mir, bei vielen anderen Konzertinteressierten sicherlich auch, völlig unüberblickbare Regelungen für Inhouse-Veranstaltungen im kommenden Herbst und Winter 2022/2023 für weitere Verunsicherungen.
Ein grundsätzliches Interesse an Live-Veranstaltungen besteht nach meiner Einschätzung nach wie vor bei der hierfür in Frage kommenden Klientel, wenngleich ein „Entwöhnungsprozess“ während der Pandemie sicherlich stattgefunden hat.
Die individuelle, zum Teil existenzielle, Bewältigung der fortschreitenden Inflation, der steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere der Energiekosten aufgrund des nach wie vor andauernden kriegerischen Überfalls der Ukraine durch russische Truppen, hat für sehr viele Bürger:innen natürlich Vorrang vor Ausgaben im Bereich der Kultur. Kultur wird so mehr und mehr zum „Luxusgut“, dass sich nicht Jede(r) mehr leisten kann.
Die Veranstalter müssen indes die erheblich gestiegenen Energiekosten in die Ticketpreise einkalkulieren, wenn sie ihren Kulturbetrieb nicht vollends an die Wand fahren wollen.
Ein Club, wie der Colos-Saal Aschaffenburg, strahlt mit seinem Angebot natürlich weit über die Stadtgrenzen hinaus. Wenn die Mobilität mit dem eigenen PKW sich auf dem momentanen Preisniveau weiterbewegen wird, was zu erwarten ist, werden sich auch Konzertbegeisterte genau überlegen, ob sie sich diesen Luxus bei weiterer Anfahrt gönnen (können).
Der Zauber des 9-Euro-Tickets ist in ein paar Stunden auch verflogen. Mal sehen, ob sich die Berliner Ampel bei dem von der SPD-Bundestagsfraktion avisierten 49-Euro-Ticket einigen kann.
Corona hat unser gesellschaftliches Leben bereits in den letzten 30 Monaten nachhaltig verändert. Der Krieg in der Ukraine wird unser Leben noch stärker und langfristiger beeinflussen. Die Politik schwört uns bereits auf schwierige Zeiten ein. Dennoch einen gesunden Optimismus zu bewahren, fordert uns alle.
Es wird noch einige Zeit dauern, bis der Konzertbetrieb, nicht nur im Colos-Saal Aschaffenburg, sondern auch in anderen Clubs und Veranstaltungshallen, wieder einigermaßen normal laufen wird.
Live im Colos-Saal Aschaffenburg
Nachfolgend der sehr lesenswerte Beitrag von Claus Berninger im originalen Wortlaut:
Colos-Saal Aschaffenburg meldet: weiterhin schwierige Zeiten für die Kultur?
„Hallo Real Music Lovers,
lasst Euch nicht täuschen von den vielen bunten Bildern in Medien und sozialen Netzwerken, die uns signalisieren, die Kultur sei wieder voll erblüht und es gäbe eine riesige Nachfrage nach Konzerten und anderen Events. Für die sommerlichen Open Air Veranstaltungen mag das teilweise stimmen. Aber die ganze Wahrheit sieht anders aus: die komplette Szene steuert möglicherweise auf die nächste Katastrophe zu. Alle Indoor-Spielstätten, von den Liveclubs bis zu den Theatern, Hallen und Kleinkunstbühnen im ganzen Land berichten mehr oder weniger offen, dass es für ihre Hauptsaison ab Herbst kaum relevante Kartenvorverkäufe gibt.
War die Freude seit April 2022 in der Live-Szene zunächst riesig, endlich wieder ohne Einschränkungen Konzerte und sonstige Events durchführen, besuchen und genießen zu können, zeigt sich von Woche zu Woche deutlicher, dass die mangelnde Nachfrage nach Tickets für die nächsten Monate zunehmend Entsetzen und erneut Existenzängste auslösen – bei Künstlern, Agenturen, Veranstaltern und allen involvierten Dienstleistern.
Heutzutage sind Vorverkaufsergebnisse der Gradmesser für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg von Veranstaltungen und die Beteiligten können früh erkennen, ob ein Konzert, eine Veranstaltung oder eine Tournee den erwarteten Zuspruch finden wird. Bleiben Ticketverkäufe Woche für Woche auf niedrigem Niveau, ist eine defizitäre Veranstaltung zu erwarten, was sich aber nach der über zweijährigen, coronabedingten Durststrecke niemand mehr leisten kann.
Wer genau hinschaut wird feststellen, dass täglich überall im Land viele Einzelveranstaltungen und komplette Tourneen – ja sogar einzelne Festivals – für das Restjahr 2022 abgesagt werden, obwohl es zur Zeit keine schädlichen Veranstaltungsauflagen gibt. Es mehren sich die Stimmen, die nicht mehr wie üblich organisatorische Probleme oder Erkrankung als Absagegrund und Ausrede angeben, sondern offen und ehrlich kommunizieren, dass hauptsächlich wegen der Kaufzurückhaltung der Fans die Notbremse gezogen wird, um ein finanzielles Fiasko der Veranstaltungen zu vermeiden. Mutige Aussagen wenn man bedenkt, dass das Selbstwertgefühl von Künstler*ìnnen leiden muss, wenn ihre Kunst nicht gefragt zu sein scheint.
Fans und potentielle Veranstaltungsbesucher*innen hätten es selbst in der Hand, diesem verhängnisvollen Kreislauf zwischen mangelnder Nachfrage und Veranstaltungsabsagen gegenzusteuern. Würden sie Karten kaufen, käme es zu weniger Panikreaktionen und somit zu weniger gecancelten Events. Nur wer kann den Fans und potentiellen Besuchern ihre Zurückhaltung verdenken? Hatten sie doch nun über zwei Jahre erleben müssen, dass sie ihre bereits vor langer Zeit gekauften Karten immer noch nicht einlösen konnten, weil die Veranstaltungen zum x-ten Mal wegen Lockdowns und sonstigen Einschränkungen verschoben wurden. Oder sie hatten Aufwand und Probleme, wieder an ihr Geld für ganz abgesagte Events zu kommen, mussten sich mit Gutscheinregelungen herumschlagen und warten zum Teil heute noch auf Erstattungen.
Nicht nur für Kultur- und Veranstaltungsbranche waren diese beiden Pandemiejahre kaum planbar, auch Millionen von Veranstaltungsbesuchern haben die langandauernden Absagewellen erleiden müssen und waren als „User“ selbst von etlichen Enttäuschungen betroffen. Das Vertrauen der Kartenkäufer*innen ist verschwunden, für den Herbst und Winter bahnt sich ein neues, flächendeckendes Fiasko der Kultur an.
Gar nicht hilfreich, in unserem Zusammenhang sogar schädlich, ist die begleitende, unselige Debatte der Politik über das neue Infektionsschutzgesetz, das noch im August verabschiedet werden soll, um ab Anfang Oktober Gültigkeit zu haben. Noch ist nichts beschlossen aber viele verschiedene Positionen sind verkündet. In der Ampel streiten die Regierungsparteien über den richtigen Weg zwischen größtmöglicher Vorsicht und persönlichen Freiheitsrechten.
Zwar soll es nicht mehr zu flächendeckenden Lockdowns kommen, aber das komplette Gruselkabinett kulturverhindernder Maßnahmen zwischen Masken- bzw. Testpflicht und möglichen Kapazitätsbeschränkungen soll den Ländern für den Fall der Fälle erneut zur Verfügung stehen. Heute berät übrigens das Bundeskabinett darüber. Wie das ausgehen kann, müssten wir alle mittlerweile wissen: Jedes Bundesland erfindet seine eigenen Regeln und wird sie wieder verdammt kurzfristig verkünden, bei welchen Grenzwerten auch immer. Deja Vu. Als hätte die Politik aus den letzten beiden Jahren nicht viel gelernt.
In Bayern wird es besonders spannend. Da das von der Staatregierung abgesegnete Oktoberfest am 3. Oktober endet, sind dort möglicherweise erst nach einer kleinen, politischen Schamfrist und somit wohl ab Mitte Oktober etwaige Einschränkungen zu erwarten, auch wenn ebenso zu erwarten ist, dass die bayerischen Regierungsparteien im Bund sich als Opposition verstehen und daher jede Einigung der Ampelkoalition kritisieren werden – egal wie sie ausfallen wird.
Anfang August wurden die ersten Gesetzesentwürfe und Standpunkte bekannt und die auf niedrigem Niveau stagnierenden Vorverkäufe brachen danach erst so richtig ein – überall und fächendeckend. Ein Bärendienst für die komplette Kulturszene, die mit hohen staatlichen Fördermitteln zwei Jahre gerettet werden musste, um sich nun entsetzt mitten im dritten Pandemiejahr zu befinden – nach wie vor ohne jegliche Planungssicherheit – allerdings mittlerweile auch ohne fortgeschriebenen Überbrückungshilfen der Politik, die seit Juni ausgelaufen sind.
Weitere Links zu Beiträgen in Sachen Colos-Saal Aschaffenburg
Wer sich ein Bild über diesen wunderbaren Club der Real Music Lovers, den Colos-Saal Aschaffenburg, machen möchte, kann – wenn er Lust und Laune hat – hier ein bisschen stöbern. Die zugehörigen Konzertberichte sind natürlich verlinkt.