John Paul Jones & Supersilent
Datum: 01.08.2012
Venue: Mainwiesen Würzburg
Show: Hafensommer Würzburg
Autor/Fotograf: Gerald Langer
Inhalt
Konzertbericht
„Alles im Fluß – Bei John Paul Jones & Supersilent hört man dem Zufall bei der Arbeit zu“
Würzburg (music-on-net) – Vom mittlerweile sechsundsechzig-jährigen John Paul Jones, bekannt vor allem als Bassist des – mittlerweile vollends eingemotteten – britischen Rockdinosauriers Led Zeppelin, geht offensichtlich immer noch eine enorme Magnetwirkung aus.
Der Brite arbeitet heute fleißig in Rockbands wie Them Crooked Vultures, stärker ausgeprägt ist allerdings sein Faible für Außergewöhnliches. So schreibt er derzeit an einer Oper, ist Arrangeur und Musikproduzent und immer wieder auch Gastmusiker bei unterschiedlichen Projekten.
John Paul Jones und das Avantgarde-Trio Supersilent
Als ein besonders außergewöhnliches Projekt darf die aktuelle Zusammenarbeit mit dem norwegischen Avantgarde-Trio Supersilent bezeichnet werden. Bei einem Festival waren sich die Herren erstmals begegnet und setzen nun gemeinsam im europäischen Raum ihre akustischen Duftmarken. Das Konzert beim Hafensommer Würzburg bleibt vorläufig das einzige in Deutschland. Einige Shows in England stehen im Spätsommer und Herbst an.
Die norwegische Improvisationsband, die 1997 in Bergen / Norwegen gegründet wurde, ist heute Abend leider nicht komplett. Arve Henriksen, sonst zuständig für Stimme, Trompete, Schlagzeug und Percussion, ist krankheitsbedingt ausgefallen. Mit dabei somit lediglich das Duo mit Mastermind Helge Sten am Synthesizer, an der elektrischen Gitarre und mit jeder Menge sonstiger Elektronik beschäftigt und Ståle Storløkken , ebenfalls am Synthesizer und am elektrischen Piano.
Große Subwoofer-Boxen an der Bühnenvorderkante versperren geradezu Angst einflössend den abendlichen Weg der Fotografen. Vorab werden vom Veranstalter noch Ohrstöpsel verteilt – nur eine reine Vorsichtsmaßnahme? Die Band heisst doch Supersilent!
Das Klanginferno von John Paul Jones und Supersilent
Nach vollkommen uneitlem Soundcheck geht die Band nochmals von der Bühne und liefert – nach Ankündigung durch Jürgen Königer, dem künstlerischen Leiter des Hafensommers – ein zunächst achtzigminütiges Set, was in jeder Hinsicht betroffen macht. Es ist ein schier unglaubliches Klanginferno, was mit üblichen Hörgewohnheiten radikal aufräumt.
Stand vor drei Tagen noch die “österreichische Kavallerie” der selbst so bezeichneten Jazz Bigband Graz auf der Bühne und hat bei allem stilistsichen Cross-Over doch für eher breitenwirksamen Wohlklang gesorgt, steht heute sozusagen eine britisch–norwegische Allianz auf derselben. Supersilent nimmt unsere Hörgänge unter starkes musikalisches “Artilleriefeuer” und streichelt unser Zwerchfell nicht etwa sanft, sondern massiert es brachial durch.
Konzertfotos | John Paul Jones & Supersilent
Wir befinden uns hier in der Vorhölle der Klangalchemisten, die genüsslich in der Ursuppe der Töne und Sounds löffeln und uns an dieser Versuchsreihe teilhaben lassen. Was wir heute Abend hören, klingt, wenn ich mich um Vergleiche bemühen darf, wie eine Überlagerung der 1980er Sonic Youth mit den 1980er Einstürzenden Neubauten unter weitestgehender Weglassung versöhnlicher Zwischentöne. Was für ein Brett?
Erster wahrnehmbarer Beifall des Publikums nach etwa 45 Minuten zaubert lediglich ein kurzes Lächeln in die Gesichter des Trios, das danach sofort wieder Fahrt aufnimmt. Die Jazzansätze, vor allem auch die immer wieder in Rezensionen bemühten Freejazzansätze, sind kaum spürbar. Arve Henriksen und seine Trompete fehlen schließlich.
Die für den Jazz typische Dauerimprovisation ist dennoch das Rezept des Abends. Dieses hat sich bereits über viele Jahre im Studio bewährt. Dort werden zahllose Aufnahmen gemacht und dann – ohne Overdubs – exzerpiert und zum Album montiert.
Wunsch nach Zugabe
Der Wunsch des Publikums nach einer Zugabe wird erfüllt. Mit schamhaften Blicken ins Publikum und einem fast schüchternen Nicken verlassen die drei Herren nach zwanzig Minuten endgültig die Hafenbühne und gehen dann sicher wieder ihre eigenen Wege bis zur gemeinsamen nächsten „Bühneneruption“.
Es gibt unter ihnen keinen Bandleader, der sich für diesen wahrlich besonders fordernden Abend beim Würzburger Hafensommer und für die Aufmerksamkeit des Publikums bedanken möchte. Die Band verzieht sich quasi wie ein Gewittersturm.
War das alles noch kontrolliertes Chaos mit Klangmanipulation oder gar ein Akt der Zerstörung und Verstörung?
Diese Frage wird jeder Zuhörer für sich selbst beantworten müssen.
Ich empfand diesen Abend nach dem Sonntag mit der Jazz Bigband Graz als willkommenen Befreiungsschlag. Auf der einen Seite diese schier unglaubliche Präzision der Österreicher und hier die einmalige und eben nicht wiederholbare Klangorgie von Supersilent, frei von allen Konventionen.
Hier kann sich noch etwas entwickeln, was mancher vielleicht auch hoffen wird. Das “Produkt JBBG” ist bereits fertiggestellt und lädt somit unmittelbar zum audiophilen Hörgenuss, für mich insbesondere auf Tonträger, ein.
Ein solches – heute Abend auf offener Bühne ausgetragene – Experiment muss polarisieren. Unglücklich sind natürlich diejenigen, die mit falschen Vorstellungen zur Hafenbühne gekommen sind und etwa “Kuschelrock” von Led Zeppelin” erwartet haben.Vollkommen kalt gelassen hat dieser laue Abend aber sicherlich niemanden.
Markus Schneider hat bei einer Besprechung des Albums 6 von Supersilent in der Berliner Tageszeitung das Phänomen der Band für mich auf den Punkt gebracht:
„Bei Supersilent hört man dem Zufall bei der Arbeit zu“.
Und wir waren diesmal dabei.