Marc Marshall & All Stars Band
Datum: 02.03 – 04.03.2017
Venue: Kurhaus Baden-Baden
Show: Mr. M’s Jazz Club Baden-Baden 2017
Website
Autor/Fotograf: Jörg Neuner
Inhalt
Konzertbericht
Happy Anniversary: Marc Marshall & All Stars Band, der Jazz-Preis und liebe Gäste in Mr. M’s Jazz Club – 10 years and still going strong
„Paaardy !“„? “„Paaaaardy !!“„…“
Marc Marshall gibt die Parole aus, aber das Baden-Badener Publikum ist noch nicht ganz so aufgekratzt wie „Mr. M“ auf der Bühne. An den Tischen ist man noch in den Cocktail vertieft oder löffelt am Dessert. Und es ist ja auch erst Donnerstagabend.
Gastgeber Marshall hat allen Grund zur Feierlaune, denn es ist die zehnte Ausgabe seines kleinen Festivals. Damals 2008 noch ein bisschen belächelt, mit einem dreitätigen Programm anzutreten. Und dann noch Jazz, was nicht unbedingt die Hauptreferenz seiner Bekanntheit ist. Aber er ist ein großer Jazz-Liebhaber und legt immer weiter die Wurzeln frei, die der Jazz in Deutschland hat – und die liegen eben vor allem in Baden-Baden. Die Verleihung des Joachim-Ernst-Berendt-Preises erinnert an den Mann, der dieser Musikrichtung hierzulande den Weg bereitet hat, indem er die damaligen amerikanischen Größen des Jazz und Blues an den Rand des Schwarzwaldes geholt hat.
In der heutigen Szene sind Marshalls treue Mitstreiter in der All Stars Band aktiv und auch international bestens vernetzt, so dass sich bereits das erste Programm vor zehn Jahren mit zwei Grammy-Preisträgern aus der Heimat des Jazz schmücken konnte.
Dem Anlass entsprechend will man es so richtig krachen lassen und hat das Konzept zum ersten runden Jubiläum etwas umgestellt. Traditionell – darf man ja jetzt schon so sagen – ist der Auftritt mit der gesamten All Stars Band dem Samstag vorbehalten, an dem sich Mr. M und seine Bühnengäste auf Sofas plaudernd einen schönen Abend machen und in immer wechselnden Arrangements den Jazz in alle Richtungen ausrollen vom swingenden Groove über Pop bis zum Rock.
Dieses Jahr gibt es deshalb jeden Tag All Stars und Sofas. Dafür hat sich Marshall vor allem Wegbegleiter eingeladen, die so begeistert sind von der besonderen Atmosphäre im Benazet-Saal des Kurhauses, dass sie immer wieder gerne kommen. Der deutsch -amerikanische Sänger Charles Simmons zum zweiten Mal, die kalifornische Jazz-Sängering Judy Niemack zum dritten Mal, und Stimm-Akrobat Peter Fessler zum fünften Mal.
Special Guest ist heute Wolfgang Haffner, einer der besten Jazz-Schlagzeuger Deutschlands und auch international mit allen großen Namen auf der Bühne und im Studio. Diese Verdienste werden heute mit der Verleihung des besagten Preises gewürdigt. Seine persönliche Wärme, die die Gegensätze von Privatheit und Öffentlichkeit in der Musik verbindet, eine Musik, die ohne Kalkül sondern von Herzen gemacht wird – das ist es, was die Musik antreibt, voranbringt und die Menschen wirklich begeistert. In der Laudatio von Christopher Dell ist das der Kernpunkt und in Haffners Dankesrede dessen Hauptanliegen.
Genug der Worte, der Hausherr eröffnet und singt sich im Laufe der ersten Nummer gleich so richtig in Rage, wie er es sonst erst in Richtung Zugabe zu tun pflegt. Frank Lauber am Sax und Hendrik Soll am Piano pusht er gleich mal in die Soli. Der zweite Song geht an Judy Niemack, die mit ihrer grünen Abendrobe zu Mr. M’s weißen Sneakers und roten Socken optisch kontrastiert; akustisch holt uns Ihre klassische helle Jazz-Stimme von Marshalls Rock-Schlenker zurück zum Thema.
Der Einstieg von Charles Simmons geht dann ins soulig-poppige. Seine Version von Never Gonna Give You Up fand einst höchsten Respekt von dessen Autor Mike Stock. Schließlich beat-boxt sich Peter Fessler den Weg auf die Bühne frei, um sodann Niemack zum Duett zu bitten, die er mit seinen vier Oktaven Bandbreite im Zwie-Gesang in die Mangel nimmt.
Marshall lümmelt derweil mitswingend auf seinem Sofa, genießt die Show oder klinkt sich auch mal ein und animiert das Publikum. Das ganze kommt trotz aller zwangsläufig notwendigen Arrangements ungekünstelt und locker rüber – offenbar muss sich keiner auf der Bühne vor den anderen etwas beweisen. Jeder hier hat schon mal mit Jedem gemeinsame Projekte gehabt, und alle genießen es, in dieser großen Familie zusammen auf der Bühne zu stehen. Und ab und an gibt es Zuwachs. Simon Oslender hat letztes Jahr an der Hammond-Orgel so sehr begeistert, dass die Band den 18-Jährigen einfach dabehalten hat.
Schließlich steigt der Ehrenpreis-Träger Haffner hinter das Schlagzeug. Der Laudator ist auch dabei und offenbart sich nun als einer der ganz großen Vibrationisten – der Großteil des Publikums hatte ihn outfit-mäßig wohl gar nicht aus Musiker auf der Rechnung. Der etwas steife, ablesende Sprecher entpuppt sich mit vier Schlegeln in der Hand als rasender Derwisch. Die beiden verstehen sich blind und improvisieren vom kaum hörbaren Streicheln des Trommelfells bis zum wilden Stakkato.
Für den restlichen Abend übernimmt Haffner des Schlagwerk und gibt den Rhythmus für weitere entspannte Nummern, die ein bisschen den Blues streifen oder mit Westside-Story das Musical, Oslenders Hammond-Orgel lässt den Bossa Nova nach Baden-Baden schweben. Auch ein bisschen wehmütig wird es, beim Andenken an das kürzlich verstorbene stimmliche Idol von Peter Fessler, Al Jarreau. Der hat auch Haffner nicht nur ein Leben lang inspiriert, er hat ihn sogar auf seiner letzten Tour begleitet.
Am Schluss gibt es wie immer Vollgas, und auch für das nun mitrockende Publikum steuert der Fundus von Jarreau noch etwas bei.
„Paaaardy!“
„Paardy!“
So wie der erste Abend geendet hat, soll der zweite beginnen. Schon etwas munterer das Publikum, am Freitag. Mr. M‘s Eröffnungsnummer skizziert schon mal den Ablauf: von gefühlvoll getragen bis zu furioser Power interpretiert er Wonderful World und er betont damit auch den faszinierenden Einfluss der verschiedenen Kulturen auf die Musik.
Marshall hat eine Kollegin eingeladen, die schon im Line-up des ersten Festivals 2008 stand. Die amerikanische Sängerin Kim Sanders hat in Deutschland Wurzeln geschlagen und ist mit vielen Formationen unterwegs. Ihre weiche helle Stimme kontrastiert wunderbar mit Frank Laubers rauhem Saxophon, das Ganze schön soulig.
Torsten Goods persönliche Note ist die grüne Halbakustik-Gitarre, mit der er seine eigenen, gefühlvollen Versionen von bekannten Stücken begleitet. Von Sinatra über Adele bis zu Nirvana, ganz herrlich entschleunigt. Auch ein Mr. M-Mehrfachtäter übrigens und auch gerne mal mit Herrn Haffner vom Vorabend unterwegs.
Lucia Cadotsch, das scheue Reh aus der Schweiz, ist ebenfalls nicht zum ersten Mal da. Ich muss immer an Audrey Hepburn denken, wenn sie so ein bisschen verloren aber doch bestimmt am Mikro steht und mit Bruno Müller an der Gitarre Bang Bang haucht. Kann man sowas hauchen? Sie kann.
Auch Joo Kraus hat hier schon öfter in Trompete und Flügelhorn geblasen. Er ist einer der frühen Pioniere von Computereffekten im Jazz, gibt sich heute Abend aber eher klassisch. Einen kleinen Ausflug in die Technik gibt es dann aber doch, er erklärt kurz ein paar Tricks seiner Tretmühle, die per Fußpedal Echo und Hall durch den Raum jagen. Ähnlich überraschend ist der Effekt, wenn er dann plötzlich in heftigst schwarzen Rap verfällt.
Als letzter Gast kommt Rhani Krija auf die Bühne und kümmert sich jetzt um die verwaisten Percussions. Damit auch wirklich jeder Ton seiner Bongos, Schellenbündel und Glöckchen den Weg in die Tiefen des Saals finden, trägt er zwei Mikros direkt am Handgelenk – jedes kleinste Sound-Detail findet den Weg durch den Saal, während der Marokkaner sein Solo-Feuerwerk abbrennt.
Damit es auf den Sofas nicht zu eng wird, finden sich wieder wechselnde Gruppierungen am Mikro zusammen, alle Instrumente solieren ebenso brillant wie sie zusammen als eingespielte Einheit wirken. Auch einigen Vorbildern wird wieder gedacht, die die Musikwelt letztes Jahr verloren hat. Neben Al Jarreau auch George Michael…
Killing Me Softly hat dann doch noch niemanden umgebracht, Stevie Wonder lebt auch noch, Marshall gibt seinen Heli-360, und so tobt sich auch dieses Konzert am Schluss nochmal so richtig fröhlich aus.
„Paaaaaardy!“
„Paaaaaardy!“
Samstagabend, Das Echo funktioniert jetzt prächtig. Soll ja heute auch der Höhepunkt des Jubiläums sein. Deshalb gibt es wohl auch nur mehrfach-erfahrene Jazz-Club-Bühnengäste. Und mal einen, der mit Jazz eigentlich garnix am Hut hat.
Marshall heizt erstmal wieder höchst selbst ein für den ersten Gast: Jeff Cascaro ist schon mal optisch ein Statement, nicht nur wegen Smokinghose, Lackschuhen und roten Socken. Sein ganzer Ausdruck lässt einen unvermittelt an Ray Charles denken. Und sein immens druckvoller, prägnanter Gesang ändert da überhaupt nichts dran. Ganz anders Marc Secara. Fast jungenhaft. Noch weicher und noch sanfter als Simon & Garfunkel präsentiert er Cecila im Jazz-Gewand.
Doch egal, wie hart oder soft die Jungs gestrickt sind; wenn Fola Dada erscheint (in Worten: erscheint), liegen sie einfach nur zu Füßen. Diese Füße ragen unten aus einem luftig-schwarzen Kleidchen heraus, stecken in netten schwarzen Pumps, ganz oben drauf ein ungebändigter schwarzer Puschel über einem so bezaubernden Ganz-Gesicht-Lachen … sie braucht eigentlich überhaupt nicht zu singen. Macht sie aber natürlich. Alleine, mit einer ebenso bezaubernden glockenhellen Soulstimme. Im Duett, mit jedem der Herren – sie reißen sich darum – mit so viel Ausdruck … man müsste sie irgendwie als Energiequelle nutzen können, die Welt wäre save.
Und dann kommt noch der Nicht-Jazzer, den der Club einfach wegen seiner faszinierenden Stimme eingeladen hat. Johnny Logan, der irische Multi-ESC Sieger seit 1980. Hierzulande vielleicht nicht mehr so im Fokus, aber in Skandinavien seit einigen Jahren auf den Bühnen und ganz oben in den Charts unterwegs. Mit der schmachtenden Stimme, die ebenfalls bis ganz nach oben reicht.
Er war schon am Vorabend im Publikum und hat mitgekriegt, dass das hier mal eine ganz andere Nummer ist. Entsprechend nimmt auch sein erster Hit Hold Me Now zwischen den Höhenflügen ordentlich Fahrt auf – das begeisterte Publikum ebenfalls. Besonderen Spaß hat er wohl im Duett mit Marshall bei Kris Kristoffersons Help Me Make it Through The Night. Unfassbar, was für eine Power die beiden aus der Ballade des alten Ober-Melancholikers rausholen.
Eine Rede. Cascaro, als ein Mann der ersten Stunde bei Mr. M, fordert vom Publikum gebührenden Applaus für dessen Verdienste in einem Jahrzehnt Jazz-Club. Er braucht nicht lange zu bitten. Und jetzt – endlich – trifft auch der Champagner auf der Bühne ein. Eigentlich auch schon Tradition – dieses Jahr hat es etwas gedauert. Und einem Iren kann man ja wirklich nicht nur Wasser hinstellen. Ein sichtlich bewegter Marc Marshall hebt sein Glas auf seine treue Gemeinde auf und vor der Bühne. Und betont, wie wichtig ihm vor allem die Live-Musik ist, die von Herzen kommt – und den Nachwuchs dafür zu begeistern.
Dann ist endgültig Party-Stimmung, es wird richtig gerockt im ganzen Saal. Von der Band haut jeder noch ein Abschluss-Solo raus, Joo Kraus ist plötzlich auch wieder da und rappt uns noch einen. Logan turnt über die Monitor-Boxen und bittet den lieben Gott won’t you buy me a Mercedes Benz…Pech, Mercedes gehört nicht zu den Sponsoren.
Nach drei Tagen ist mir einmal mehr bewusst, was zuhause im CD-Regal steht und auf den pods oder pads gespeichert ist: nur Konserven.
Es geht einfach nichts über Frischware, heiß serviert.
Same prodecure as every year: im nächsten Jahr findet der Jazz Club statt vom 8.-10. März 2018.
Und Mr. M geht auf Tour, mit All Stars Band, Fola Dada, Jeff Cascaro und Peter Fessler:
- 31.5. Berlin, A-Trane
- 20.6. Stuttgart, Renitenztheater
- 20.9. Mannheim, Schatzkistl
- 31.10. Hamburg, Stage Club
- 1.11. Bad Homburg, Speicher
Line up
Marc Marshall – vocals
Judy Niemack – vocals
Charles Simmons – vocals
Peter Fessler – vocals, guitar
Christopher Dell – vibraphone
Wolfgang Haffner – drums
Kim Sanders – vocals
Torsten Goods – vocals, guitar
Lucia Cadotsch – vocals
Joo Kraus – trumpet, flugelhorn
Rhani Krija – percussion
Jeff Cascaro – vocals
Marc Secara – vocals
Fola Dada – vocals
Johnny Logan – vocals
All Stars Band
Simon Oslender – hammond organ
Bruno H. M. Müller – guitar
Hendrik Soll – grand piano
Christian von Kaphengst – bass
Hans Dekker – drums
Frank Lauber – saxophon, arrangements
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