Eva Klesse Quartett
Album: Creatures & States
Format: CD, digital,
VÖ: 15.10.2020
Label / Vertrieb: Yellowbird/Enja Record
www.evaklesse.de
www.evaklessequartett.de
Inhalt
Pressetext
Der Zweijahresrhythmus bleibt gewahrt, auch beim vierten Album des Eva Klesse Quartetts. Ende Oktober 2018 erschien Miniatures – Ten Songs For Chamber Jazz Quartet, begleitet von begeisterten Medienreaktionen. Viele lobten besonders die traumwandlerisch sicheren Interaktionen der Band und ihre charakteristische, variable Klangsprache.
„In den Stücken dieses Albums ist kaum ein Takt so, wie man ihn erwarten würde. Kein Klischee. Kein Abfeiern von Effekten. Sondern die Lust am instrumentalen Gespräch“, konstatierte BR-Klassik und Matthias Wegner attestierte im Deutschlandfunk Kultur: „…ein wunderbarer Gesamtsound: unaufgeregt, aber dennoch voller Tiefe.“ Ulrich Steinmetzger notierte in der Leipziger Volkszeitung: „Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Band, die auf feine Details und milde Stimmungen setzt und nicht auf vordergründige Überrumpelung, ist höchst faszinierend.“
Nun also das nächste Kapitel dieser künstlerischen Erfolgsgeschichte: creatures & states. Erneut macht die reflektierte, 2015 mit einem Jazz-Echo ausgezeichnete Band ihren Fokus klar: das musikalische Erzählen imaginärer Geschichten, die eigene Erlebnisse abstrahieren und sich aus Emotionen speisen. Strategische Überlegungen spielen dabei entschieden keine Rolle. Zentral ist hingegen der gemeinsam weiterentwickelte Sound, der sich bewusst von kurzlebigen Trends fernhält. Weil das, was heute hip ist, morgen schon von der nächsten Mode überholt sein kann.
creatures & states erzählt von Lebewesen und Zuständen, in die sie geraten können. Absichtsvoll lässt die Band in ihren farbenreichen Stücken Wirklichkeit, Traum und Fiktion verschwimmen, nimmt ihre Zuhörer*innen mit auf Reisen in unterschiedliche Stimmungen. „Unsere Musik wird immer präziser und tiefgreifender“, erklärt Evgeny Ring die Entwicklung aus seiner Sicht, „die Kompositionen gewinnen noch mehr an Bedeutung. Es ist durch und durch eine Ensemble-Platte, die nicht ausufernde Soli in den Vordergrund stellt. Und zu jedem Stück haben wir eine klare visuelle Vorstellung, gemeinsame Bilder im Kopf.“ In kurzen Absätzen be- oder umschreibt das Quartett im Booklet Ideen oder Hintergründe der einzelnen Titel.
Zum Auftakt entführt Eva Klesses „Brushing Hippopotami“ in eine Traumwelt. Aus einer leisen, formlos-suggestiven Einleitung schält sich eine kleine, lockende Melodie, unterlegt von einem irritierend versetzten Rhythmus-Muster. Das Saxophon übernimmt die Führung, bleibt aber zurückhaltend, ebenso wie das folgende kurze Bass-Solo. Dann ergreift Philip Frischkorn die Initiative, sein Flügel-Solo nimmt wenig später unerwartet kraftvolle Züge an. Die anschwellende Dynamik lässt Ring expressiver modulieren, während Klesse druckvolle Hiebe auf die Trommeln verteilt. Und so unerwartet wie die Energie losbricht, so jäh verebbt sie in einer kurzen Abblende – oder dem unvermeidlichen Aufwachen aus dem Traum, der die Komponistin glücklich gemacht hat, wie sie selbst sagt.
Das folgende „Minotaurus‘ Labyrinth“ reflektiert Frischkorns Faible für griechische Mythologie; seine etwas weiter hinten auf der CD platzierte, dreiteilige Suite „Hal Incandenza“ bezieht sich auf den „mächtigen Kosmos“ des Schriftstellers David Foster Wallace und die gleichnamige Figur aus dessen Roman Unendlicher Spaß (Infinite Jest), die aus einer anderen Welt zu kommen scheint. Musikalisch ist Pianist Frischkorn von jeher auch der Klassik und klassischen Moderne verbunden, dennoch hat er ein solch komplexes, weit ausgreifendes Werk wie dieses bislang noch nie für das Quartett geschrieben. Gleiches gilt für Rings „La Vie“, nicht nur, weil er hier ausnahmsweise auch Klarinette spielt.
„Es unterscheidet sich von allen meinen bisherigen Kompositionen, da die Inspiration und die dafür verwendete Sprache aus einer für mich ganz neuen Quelle kam. Die Komposition entstand aus meiner Studie zu den Modi mit begrenzter Transpositionsmöglichkeit von Olivier Messiaen. Die Klänge, die ich dabei entdeckte, öffneten mir eine neue Tür in die Welt der Impressionisten.“ Parallel dazu beschäftigte er sich mit Pablo Picasso. „Dessen Gemälde La Vie traf für mich exzellent die Stimmung meiner Komposition. ‚La Vie‘ vertont einen Zustand in dem ich selbst sehr gerne bin – langes, meditativ schwebendes Nachdenken ohne ausformulierte Gedanken.“
Neben sehr persönlichen Erlebnissen und Inspirationen können auch Momente, die die Band gemeinsam geteilt hat, zu Stücken werden. Beispielsweise „Mr. Liu“, das einen mitunter holprigen Kulturaustausch beschreibt. „Mr. Liu ist ein Mensch, der uns vier für mehrere Tage unserer China-Tour in einen prickeligen Zustand des Kontrollverlustes versetzt hat“, erklärt Komponist Ring. „Unsere states reichten von gelassenem ‚go with the flow‘ über erstauntes ‚ah, interesting…‘ bis zu explosivem ‚we need to talk!‘. Das Stück besteht aus einer leichten und spielerischen Melodie, die in ihrer Entwicklung immer mehr und mehr stolpert und am Ende zum feurigen Tauziehen wird.“
Weit ist das musikalische Panorama auf creatures & states. Introspektive, konzeptionelle und auch mal melancholisch angehauchte Momente markieren das eine Ende, etwa in Eva Klesses „Choral For P“ (inspiriert von Arvo Pärts Tintinnabuli) und „Einsiedlerkrebs“. Letzteres ist einfach aus dem Leben als Musiker*in gegriffen: es gibt diese nötigen Momente des Rückzugs ins Alleinsein, und dann eben auch solche auf Tour, bei denen man sich wie ein Nomade, wie eine Schnecke mit eigenem Haus auf dem Rücken fühlt.“
Das andere, nervös-überschäumende Ende der emotionalen Spannweite markiert „Flirr!“, ebenfalls aus Klesses Feder. „Es geht um den Zustand, in dem man so viel gleichzeitig denkt und will, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, was man will. Beim Organisieren, Komponieren, auf Tour oder im Verliebtsein kann das positiv wirken. Aber wenn man zu viel auf einmal will, kann es auch ins Negative umschlagen.“ Momente des energiegeladenen, vermeintlich oder tatsächlich freien Spiels gab es schon früher, doch in „Flirr!“ scheinen sie eine für diese Band neue Dimension zu erreichen.
Eine andere wichtige Neuigkeit soll noch erwähnt werden: Stefan Schönegg am Kontrabass. Neben Ring nun also ein weiterer Wahl-Kölner, der sich längst bundesweiter Aufmerksamkeit erfreut. Es brauchte genau ein gemeinsames Konzert, um zusammenzukommen, erzählt Klesse. „Stefan passt perfekt zum Bandspirit, außerdem bringt er eine individuelle Stimme ein. Er hat unter anderem klassischen Kontrabass studiert, beherrscht sein Instrument inklusive Bogen wirklich meisterhaft. Er bewegt sich auch im Umfeld der Neuen Musik, macht viel frei improvisierte Musik und komponiert oft sehr reduziert und feinstofflich. Das finden wir sehr spannend.“
„Wir haben einen wunderbaren neuen Bassisten, haben das ‚verflixte‘ siebte Jahr überstanden, Höhen und Tiefen zusammen gemeistert“, freut sich Eva Klesse. „Es gab verrückte Zeiten, in denen wir intensiv auf Tournee waren“, erinnert sie sich an Reisen in Europa, der Türkei, acht Länder Mittel- und Südamerikas, Malaysia und Ägypten, wo das Quartett u.a. bei Festivals in Buenos Aires, Kairo, Mexiko City, Santiago de Chile auftrat. Und dann plötzlich das drastische Gegenteil, die Corona-Monate mit ihren umfangreichen Einschränkungen. „Wir lernen uns immer besser kennen, menschlich wie musikalisch. Andererseits gelingt es uns nach wie vor, uns gegenseitig mit neuartigen Stücken/ Kompositionen zu überraschen, uns zu inspirieren und auf der Bühne gegenseitig herauszufordern.“
creatures & states manifestiert erneut den internationalen Status des Quartetts. Wie seine Vorgänger wurde das Album gemeinsam in einem Raum im Kölner Loft-Studio eingespielt. Die Intimität und Intensität der Sessions ist jederzeit spürbar. Insgesamt scheint die Energie in dynamischen Spitzen noch einmal merklich gewachsen, angestachelt vom mal sensiblen, mal wirbelnd-wuchtigen Spiel Klesses. Souverän lässt die Band Traditionen hinter sich; ihre Innovationskraft zeigt sich im stilübergreifenden Denken, klugen Details und feinen Nuancen. Die Musik des Eva Klesse Quartetts beeindruckt mit Substanz und Tiefe, Eleganz und Individualität, Verve und Esprit.
Pressetext: © hubtone pr, Anje Huebner
Tracklist
1. Brushing Hippopotami (6:33
2. Minotaurus‘ Labyrinth (5:40)
3. Choral for P (3:18)
4. Herbstmonat (5:29)
5. Mr. Liu (6:16)
6. Hal Incandenza (11:28)
7. Einsliedlerkrebs (6:44)
8. Flirr! (2:01)
9. La Vie (5:10)
10. Der Tuchmacher (5:52)
Line-up
Evgeny Ring – Alt-Saxophon
Philip Frischkorn – Klavier
Stefan Schönegg – Kontrabass
Eva Klesse – Schlagzeug
Credits
Enja Records, ENJ-9784 | Aufgenommen im Februar 2020 von Christian Heck @ Loft, Köln |
Mixed und mastered von Christian Heck @ Tonart Studio
Eva Klesse spielt Canopus Drums.