Dauner und Dauner, Kühn und Kühn
Datum: 18.03.2016
Venue: Kurhaus Baden-Baden
Show: Mr M’s Jazzclub
Website
Autor/Fotograf: Jörg Neuner
Line up
Joachim Kühn – Grand Piano
Rolf Kühn – Clarinette
Wolfgang Dauner – Grand Piano
Florian Dauner – Drums
Website (Wolfgang Dauner)
Konzertbericht
Family Affairs
Baden-Baden (music-on-net) – Dieser Abend verspricht, speziell zu werden. Er wird das Publikum zweiteilen. In die Begeisterten, die wissen, welche Musiker im deutschen Jazz für welche Stilrichtung stehen und deshalb heute Abend hier sind. Und die etwas weniger Begeisterten, die das vielleicht nicht so genau wissen und bei Mr. M’s Jazz-Club einfach einen Abend in netter Atmosphäre mit entspannter Jazz-Unterhaltung erwarten. Und deshalb vielleicht nicht bis zum Ende aushalten werden. Von Letzteren haben wohl einige das Programm aufmerksam gelesen und sind erst gar nicht gekommen, denn die runden Tische im Benazét-Saal des Kurhauses Baden-Baden sind außergewöhnlich dünn besetzt.
Vielleicht eine etwas zu mutige Auswahl an Künstlern, die Gastgeber Marc Marshall für sein neuntes Jazz-Festival zusammengestellt hat? Die meisten Abende dieser feinen kleinen Jazz-Club-Reihe hatten bislang sicher gefälligere und für das ungeübte Jazz-Ohr harmonischere Konzerte im Programm. Aber Mr. M’s Anspruch, an die alten Baden-Badener Jazz-Zeiten anzuknüpfen, erlaubt durchaus auch etwas schwerere Kost.
Schließlich wurde am Vorabend zum fünften Mal der Joachim-Ernst-Berendt-Preis verleihen; der Preisträger Nils Landgren war für das Publikum sicher etwas leichter verdaulich. Aber J.-E. Berendt hatte als oberste Jazz-Koryphäe nicht nur dem Swing- und Big-Band-Jazz den Weg nach Deutschland bereitet. Er gründete und leitete in den 60ern und 70ern auch das SWF Free Jazz Meeting, das bis heute als SWR New Jazz Meeting jährlich stattfindet.
Joachim Kühn und Wolfgang Dauner waren beide mehrmals bei diesen Avantgarde-Meetings dabei. Nun also beide in familiärem Setting, zuerst die Brüder Kühn, danach Vater und Sohn Dauner. Marshall verkündet stolz einen Legendentreff und gesellt sich ins Publikum.
Joachim Kühn am Flügel und Rolf Kühn an der Klarinette haben sich unabhängig voneinander mit ihren Instrumenten als deutsche Jazzer der ersten Stunden die Anerkennung auch der US-Jazzgrößen aller Stilrichtungen erspielt. Für verschiedene Projekte finden sie auf der Bühne oder im Studio zusammen. Sie eröffnen den Abend nun gemeinsam und alleine auf der Bühne, die Begleitband hat heute frei.
Mir fehlt dann leider auch das geschulte Gehör und Musikverständnis, um das Folgende annähernd qualifiziert zu beschreiben. Es beginnt mit eher einzelnen Tönen, die sich Klarinette und Piano zuwerfen. Die beiden Brüder könnten dabei nicht unterschiedlicher wirken. Rolf an der Klarinette stoisch an den Barhocker gelehnt, bar jeder unnötigen Bewegung. Bei Joachim ist der ganze Körper im Einsatz an den Tasten, wildes Kopfschütteln, Aufspringen, der Oberkörper fliegt vor, zurück, seitwärts.
Es folgen etwas melodischere Stücke und immer wieder Wechselspiele der beiden. Mal spielt das Piano der Klarinette einen ruhigen Ball zu, mal weht ein leises Klarinettensolo über die Bühne, dass von den Tasten aufgenommen wird. Und natürlich wird der Gastgeber auf die Bühne geladen, der sich nicht lange bitten lässt. Seiner Schwester zu Ehren singt er Stella My Starlight.
Man meint aber zu spüren, dass sich Marshall zwischen diesen Free-Jazz-Größen ein klein wenig verhaltener bewegt, als das sonst auf der Bühne seine Art ist. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass er das Stück als absolut ungeprobt ankündigt und das Textblatt in der Hand hält. Am Abschluss des ersten Sets steht die Erkenntnis von Rolf Kühn, dass so ein Festival in Berlin fehlt.
Die kurze Umbaupause wird von einigen Gästen zum Verlassen des Saales genutzt. Wobei darunter sicher touristische Zufallsbesucher sind wie eine chinesische Gruppe, die für den Abend möglicherweise einfach nur den nächst liegenden Event gestürmt hatte.
Vater und Sohn Dauner haben nach sehr unterschiedlichen Karrieren in den letzten Jahren zu gemeinsamen Projekten zusammen gefunden. Wolfgang Dauner ist ein Urgestein der deutschen Jazz-Szene und -Avantgarde und hat sie ganz wesentlich mitgeprägt, vor allem durch den frühen Einsatz von Elektronik. Daher haben sich auf dem guten alten Steinway in der Pause ein Keyboard und ein MacBook breitgemacht.
Welch verkehrte Welt zwischen Alt und Jung: Sohn Florian marschiert zu seinem völlig analogen Schlagzeug, um mit einem satten Sortiment verschiedenster Drumsticks ganz archaische Dezibel zu erzeugen. Bekannt ist er damit vor allem als Drummer der Fantastischen Vier.
Wolfgang erklärt dann in seiner unnachahmlichen Art und Stimme, auf dem Klavierhocker leicht zum Publikum gedreht, dass ihn letztlich sein Sohn daran erinnert hat, er hätte doch früher so in Elektronik gemacht. Warum sie das nicht mal gemeinsam machen würden? Und das geht dann ungefähr so: Die Elektronik spielt ein Thema vor und die beiden begleiten mit den Instrumenten.
Und so breitet sich im Raum mitunter ein schwebender Unterwasser-Klangteppich aus, der mal vom Piano getrieben oder vom Schlagzeug zerschossen wird. Dann spielt Wolfgang so perkussiv, dass Flo Pause machen kann. Und auch für’s Gemüt gibt es dann noch etwas; dafür holen sich die beiden Mr. M auf die Bühne. Mit dem Klassiker My Funny Valentine fühlt er sich zwischen den Dauners sichtlich auf vertrauterem Boden als vorher zwischen den Kühn-Brüdern. Der diesmal etwas weiter gespannte Bogen des Festivals schließt sich damit wieder und man darf gespannt sein auf das Finale am Samstagabend.