Jochen Distelmeyer
Datum: 11.03.2015
Venue: Cairo Würzburg
Show: Otis (Lesung) – Lesereise
Autor/Fotograf: Gerald Langer
Inhalt
Bericht zur Lesung mit Musik
„Otis“ – lediglich ein Formatproblem?
Würzburg (music-on-net) – Jochen Distelmeyer endlich wieder einmal in Würzburg. Zuletzt hatte ich ihn im Rahmen eines Club-Warm-Ups zu seinem Solo-Album „Heavy“ im Juli 2009 im Würzburger Jugendkulturhaus erlebt. Schweißtreibend war es damals gewesen, nicht nur für die Band und ihn, sondern auch für das Publikum. Dicht an dicht zusammengedrängt standen wir ganz vorne, während Distelmeyer betont rockig und – gar nicht wie ein „Blumfeld“ – hart in die Gitarrensaiten griff. Distelmeyer stand regelrecht unter Strom, die seitlichen Halsschlagadern beim Singen erkennbar angeschwollen. Unter die Kultband Blumfeld hatte er zwar einen Schlussstrich gezogen, sein Tatendrang war dennoch längst nicht gestillt.
Nach Blumfeld
Nach einigen Konzerten in den Jahren 2009/2010 wurde es dann sehr still um ihn. Auch ich gehörte zu denjenigen, die auf seiner Facebook-Seite immer mal wieder nach Lebenszeichen suchten. Der Mann hatte sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Umso erfreulicher war die Nachricht, dass Blumfeld im Jahre 2014 einige Konzerte anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums des Meisterwerkes L‘etat et moi geben wollten.
Keines dieser Jubiläumskonzerte im Zeitraum August und September 2014 habe ich erleben können. Sehr schade! Ist doch anzunehmen, dass diese Band nicht mehr dauerhaft zusammenfinden wird.
Debütroman Otis
Mit der Reunion-Tour wurde bereits im Mai 2014 Jochen Distelmeyers Debütroman „Otis“ angekündigt, der beim namhaften Rowohlt-Verlag erscheinen sollte. Damit ließ sich im Nachhinein auch die langjährige mediale Stille um Distelmeyer erklären.
Im Januar wurde nun „Otis“ veröffentlicht. Ich habe den Großstadtroman noch nicht gelesen. Die allgemeine Kritik geht mit dem 288 Seiten starken Werk derzeit nicht gerade zimperlich um. Es hagelt letztlich mehr oder minder stark formulierte Verrisse. Im aktuellen Interview mit Bayern 2 Moderator Achim Bogdahn räumt Distelmeyer ein, dass er Kritiken nicht lese, ihm aber doch das eine oder andere „zugetragen“ worden sei. Als Person des öffentlichen Lebens wisse er aber bereits seit Blumfeld-Zeiten damit umzugehen.
Meine Erwartungshaltung? Ich lasse mich einfach überraschen und bringe meine Antennen, so wie geschätzte fünfunddreißig andere Besucherinnen und Besucher des Würzburger Cairo, auf Empfangsstellung.
Kurz nach 20:00 wird die Allgemeinbeleuchtung etwas heruntergefahren. Zu One Direction’s „Where Do Broken Hearts Go“ entert Distelmeyer die Bühne. Die Szenerie erinnert etwas an die Minuten vor einem Boxkampf, wenn die Kontrahenten zum Klang ihrer Lieblingssongs in die Boxarena geführt werden.
Eine Performance, weniger Konzert
Jochen Distelmeyer nimmt kurz Platz, um schon bald wieder aufzustehen. Die ersten Passagen seines Romans trägt er frei – ohne Manuskript, welches er auf dem Lesetisch abgelegt hat – vor. Beeindruckend die Intensität seiner Performance. Mich hat er damit schon kassiert. Er erklärt kurz die wesentlichen Protagonisten seines in Berlin angesiedelten Gesellschaftsromans. Allen voran Tristan Funke, der aus Liebeskummer in Berlin landet und sich im Roman als Schriftsteller an Homer‘s Odyssee versucht. Die Handlung in der Handlung.
Die Odyssee ist letztlich das opulente Werk, auf den Distelmeyers Roman aufsetzt. Kein geringer Anspruch, den der Autor, der vorher herausragende deutsche Lyrik in den sogenannten Diskurspop einfließen ließ, hier erhebt. Der Roman sei letztlich die sich ihm anbietende Möglichkeit gewesen, um seine Gedanken, seine „spoken words“ in eine geeignete verschriftlichte Kunstform zu gießen. Das klassische Pop-Album-Format war für ihn kein probates Medium.
Zweieinhalb bis drei Jahre habe er an diesem Werk gearbeitet und sei nun sehr froh, es im Rahmen seiner Lesereise den Interessierten näher bringen zu können.
Der Schlüssel zu seinem jüngsten Werk ist letztlich Jochen Distelmeyer als Künstler, wie er mit Gestik, Mimik und entsprechender Intonation nicht sparend, in der romanhaften Erzählform auf der Bühne aufgeht. Ob der lediglich gelesene Roman per se zu begeistern vermag, haben andere schon zur Genüge beurteilt.
Die Akustische
Während des Auftrittes von Distelmeyer, der kurz vor der Zwischenpause wie auch zum Schluss zur akustischen Gitarre greift, wird klar, dass „Otis“ ein wesentlicher Baustein im Gesamtwerk des Wahlberliners ist, der nach wie vor ein sehr genauer Beobachter der Szene, des Zeitgeistes ist. Die momentane gesellschaftliche Grundstimmung kann man in der deutschen Metropole und ihrer Vielschichtigkeit sehr wohl spüren, wenn man nur die eigenen Sinnesorgane entsprechend schult.
Das Problem von „Otis“ scheint mir die Verschriftlichung der Spoken Words zu sein. „Otis“ als Hörbuch, vorgetragen von Jochen Distelmeyer, würde ich mir nach dem heutigen Abend sofort zulegen. “Otis“ hat für mich insofern lediglich ein Formatproblem.
Mit „As Time Goes by“ als Outro (vom Band) geht ein beeindruckender Abend im Cairo gegen 22:30 zu Ende.
Jochen Distelmeyer gibt tatsächlich Autogramme. Ich habe meine CD-Kollektion bewusst daheim gelassen, weil es mir etwas zu peinlich erschien. Dann eben beim nächsten Mal!
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