Genesis
The Last Domino oder warum ich mir manches Konzert einfach nicht antun möchte
Inhalt
Kommentar
Über ein Konzert schreiben, das ich nicht selbst erlebt habe, liegt mir grundsätzlich fern.
Dennoch nehme ich den – aus meiner Sicht sehr aussagekräftigen und fundierten Bericht von Jens Balzer für die Zeit über das Konzert von Genesis am 7. März 2022 in der Mercedes-Benz-Arena Berlin zum Anlass, mich kurz zum Thema zu äußern.
Um es gleich vorwegzunehmen:
Ich würde mich noch immer als Fan der britischen Progressive-Artrock-Band, die Genesis bis Ende der 1970er Jahre auch war, bezeichnen. Mit dem opulenten Doppel-Album „Lamb Lies Down On Broadway“ (1974) hatte ich die Band für mich entdeckt.
Nach dem Weggang von Peter Gabriel (1975) und Steve Hackett (1977) hatte Genesis mit dem Album „And Then There Were Three“ (1978), nach meiner persönlichen Einschätzung, ein letztes Glanzlicht setzen können.
Danach begann jedoch die Zeit, in der die Popularität der Band Genesis zwar stärker denn je wuchs, die Songs eingängiger wurden, die Faszination, die von der Band einst ausging, indes mehr und mehr verflog.
Gekauft habe ich ihre Alben noch immer, quasi reflexartig, als Vinyl, als CD, sogar als SACD.
Das letzte Studioalbum „Calling All Stations“ (1997) mit Ray Wilson als Sänger machte Hoffnung, dass Genesis mit dem jungen Schotten doch noch einmal für richtige Gänsehautmomente sorgen könnte. Wilson’s Stimme kam der von Peter Gabriel stellenweise sehr nahe.
Die geplante US-Tour fand jedoch aufgrund mangelnder Nachfrage nicht mehr statt. Genesis verstummten anschließend. Richtiggehend traurig war ich nicht. Dafür wurde in den Folgejahren das umfangreiche Werk der Band mit diversen Box-Sets neu editiert und gewürdigt.
Genesis: „The Last Domino“ folgt auf die „Turn It On Again-Tour“
Im Jahre 2007 folgte schließlich die „Turn It On Again – Tour“. Diese Tour, bereits als Abschiedstour apostrophiert, war zwar kommerziell überaus erfolgreich, mich hatte sie jedoch nicht ansatzweise gereizt.
Dass sich Peter Gabriel und Steve Hackett damals nicht hinreißen ließen, stattdessen eigene Pläne verfolgten, und eben nicht in dieses „Reanimations-Projekt“ einstiegen, muss man den beiden Ex-Genesis-Mitgliedern in der Rückbetrachtung erst recht hoch anrechnen.
Was darf man insofern bei einer Tour, die – nomen est omen – „The Last Domino“ überschrieben ist, zuletzt Corona bedingt mehrfach verschoben werden musste, über ein „kollektives Erinnern“ hinaus, letztlich erwarten?
Nicht viel, dann wird man sicherlich auch nicht enttäuscht.
Dass Phil Collins gesundheitlich schwer angeschlagen ist, konnte man in den letzten Jahren in sämtlichen Musikjournalen und Klatschblättern lesen. Niemanden sollte dies heute noch überraschen. Im Jahre 2007 hatte sich Collins eine schwere Wirbelsäulenverletzung zugezogen, von der er sich bis heute nicht mehr erholte. Viele weitere Krankheiten kamen in den letzten Jahren noch hinzu, so dass seine, früher mit Leichtigkeit gelebte, Bühnenpräsenz nunmehr allerhöchste Anstrengung für ihn bedeutet. Phil Collin’s Filius trommelt an seines Vaters statt – traurig und schön zugleich.
Der von Jens Balzer beschriebene gebrechliche Frontmann, der in den 1980er Jahren zum musikalischen Tausendsassa wurde, medial omnipräsent war, aus meiner Sicht gerade ohne Genesis mit eigener Band einige hervorragende Alben einspielte, hatte sich bereits in dieser Zeit quasi selbst „inflationiert“. Er polarisierte, gerade die Fans der britischen „Supergroup“ Genesis.
Ich gehörte indes nie zu denen, die Phil Collins als Schlagzeuger, Sänger und Produzenten schlecht fanden und per se ablehnten. Im Gegenteil, auch seine Alben habe ich damals regelmäßig gekauft und genossen. Dafür schäme ich mich auch Jahrzehnte später keineswegs.
Doch ich erinnere mich auch
Am 10. Oktober 1981 gastierte Genesis in der damaligen Carl-Diem-Halle in Würzburg. Dieses Konzert der Abacab-Tour in meiner Heimatstadt habe ich mir einfach nicht entgehen lassen wollen. Begeistert war ich nach dem Konzert dennoch nicht. Die Bühnenpräsenz von Phil Collins erschien mir zu affektiert, die Magie der alten Songs aus der Gabriel-Ära vermochte er – damals noch pumperlgesund – nicht ansatzweise zu vermitteln.
Etwas neidvoll denke ich an meinen Freund Winfried zurück, der Genesis im April 1975 auf der „Lamb Lies Down On Broadway-Tour“ in Stuttgart erleben durfte – mit Peter Gabriel, Steve Hackett, Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks.
Obwohl ich nicht dabei war, kann ich mich an Winfrieds begeisterten Bericht über dieses Konzert erinnern und gerate dabei selbst noch immer wieder ins Träumen.
Diese Träume möchte ich mir partout nicht zerstören lassen. Die Realität kann, wie es Jens Balzer beschreibt, sehr grausam sein.
Alles hat eben seine Zeit – leider auch Genesis.
Mein Lesetipp
https://www.zeit.de/kultur/musik/2022-03/genesis-berlin-konzert-phil-collins