Every Time I Die
Datum: 10.05.2012
Venue: Stattbahnhof Schweinfurt
Support: Make Do And Mend, Set Your Goals, Cancer Bats
Autor/Fotograf: Gerald Langer
Inhalt
Konzertbericht
Hardcore-Cocktail mit vier Bands
Schweinfurt (music-on-net) Im Schweinfurter Stattbahnhof stehen heute die Zeichen regelrecht auf Sturm, leider nicht unbedingt auf Ansturm.
Ein Packung Hardcore-Metal-Rock aus den USA und Kanada ist angekündigt. Auf dem Parkplatz des Bahnhofs sind einige großräumige Wohnmobile abgestellt. Im Vorraum zum Großen Saal wird eine erstaunliche Auswahl greller T-Shirts am Merchandising-Stand feil geboten. Manches erinnert dabei an die frühen britischen Punkbands „The Clash“ und die „Sex Pistols“.
Der Bahnhof füllt sich kurz vor Beginn der Show nur zögerlich. Mag sein, dass es am sommerlichen Wetter liegt, welches viele nochmals ausnutzen wollen. In den nächsten Tagen soll es schließlich schlechter werden.
Make Do And Mend
MAKE DO AND MEND eröffnen den abendlichen Vierteiler pünktlich. Ihr halbstündiges Set stimmt auf die geplanten weiteren Trommelfellattacken ein. Die Jungs aus Hartford, Conneticut, gehen dabei nicht gerade zimperlich mit Gitarre, Bass und Drumset um. Der Funke mag allerdings nicht so recht überspringen. Da hilft auch all das Zureden von James Carroll, dem Leadgitarristen und Sänger, nicht. Die Musik zeigt bei dem Quartett immerhin noch melodische Ansätze, die am Ende des Auftritts wachsender Spielgeschwindigkeit und zunehmender Lautstärke geopfert werden. Einige Zuhörer „outen“ sich als Wiederholungstäter in Sachen MAKE DO AND MEND und geben sich so auch als Kenner der Materie zu erkennen. Sie haben die Band vor einigen Jahren bereits in Schweinfurt erlebt.
Kurze Umbaupause – die Bandmitglieder legen selbstverständlich selbst auch mit Hand an.
Set Your Goals
Als nächstes starten SET YOUR GOALS ihr dreißigminütiges Set und überzeugen – zumindest mich – auf ganzer Linie. Der Stattbahnhof füllt sich nun – sprichwörtlich Zug um Zug. Die Kalifornier liefern heute Abend das am leichtesten verdauliche Hardcore-Menü. Der Gesang von Jordan Brown und Matt Wilson sitzt. Sie bilden sozusagen die Speerspitze der Band und den direkten Draht zum Publikum, was schließlich zu den ersten erfolgreichen Versuchen in Sachen Crowd-Surfing und Circle-Pits führt. Der Spassfaktor nimmt so bei allen Beteiligten spürbar zu. Meine Fotoausrüstung habe ich vorsichtshalber in Sicherheit gebracht.
Cancer Bats
Wieder kleine Umbaupause, die viele nochmals zum kurzen Luftholen nutzen. Soundcheck für die CANCER BATS aus Toronto, Ontario. Viel „Shit, Shit, Shit……..“ von der Bühne zum Mischpult gebrüllt, gleich mal vorab zur Einstimmung.
In den folgenden vierzig Minuten werden alle Register gezogen, die das Genre des Metal-Hardcore-Punk-Rock zu bieten hat. Head-Banging der Protagonisten bis zum Abwinken. Sänger Liam Cornier muss eine unglaubliche Nackenmuskalutur haben. Ansonsten besteht bei ihm die ernsthafte Gefahr eines Schleudertraumas. Mit Halskrause mag ich ihn mir nicht vorstellen. Würde doch verdammt unsportlich aussehen.
Ihre Musik präsentieren CANCER BATS wie Rohkost – ultrahart und nur für bereits Überzeugte auch leicht verdaulich. Allein die Stimme von Cornier – messerscharfer Brüllgesang, den Scott Middleton an der Gitarre und Jaye R. Schwarzer am Bass gelegentlich durch einen ebensolchen unterstützen.
Warum die Band vorher überhaupt einen Soundcheck gemacht hat, bleibt rätselhaft. Hier scheppert‘s und kracht‘s munter drauf los, als nähere sich die Kavallerie. Die Stimmung im Publikum – grandios. Es wird getanzt und gejohlt. Die etwas andere Party. Nicht nur Schweiß auf der Stirn der Musiker, auch das Publikum transpiriert.
Damit ist es bereit für das furiose Finale mit
Every Time I Die
Die Brüder Keith und Jordan Buckley haben Every Time I Die bereits 1998 in Buffalo, New York gegründet und legen hier nochmals eine Schippe nach. Die Stimme von Keith ist rau, laut und klingt mächtig wütend. Als hätte er mit einer Handvoll Nägeln gegurgelt. Sie erinnert streckenweise an Marilyn Manson und Trent Reznor von Nine Inch Nails.
Die Musik macht sich hier nahezu völlig frei von den typischen Elementen der „klassischen“ Rockmusik. Ansätze von Melodien werden sofort wieder zerstört durch ultraschnelle Gitarrenläufen, die wie Artilleriefeuer klingen. Wie hören sich Every Time I Die denn an, wenn sie wütend sind? Ich mag es mir gar nicht ausmalen. Heute sind sie jedenfalls gut gelaunt. Keith redet jedenfalls immer wieder zwischen den Stücken auf das Publikum ein und – lächelt sogar dabei.
Die Band ist auf der Bühne in Dauerbewegung, das Publikum ebenso. Das Set endet – ohne Zugabe – nach exakt fünfundvierzig Minuten.
Mir fällt erst jetzt auf, dass ich meine Ohrenstöpsel nicht einmal in den Umbaupausen herausgenommen habe. Die vier Bands haben mir scheinbar regelrecht Respekt eingeflösst.
„No Synthesizer Used“ stand bereits 1978 auf dem Cover von Boston‘s zweitem Album „Don‘t Look Back“. Die Band machte damals eingängige, radio- und damit massentaugliche Rockmusik. Heute sind sie dennoch vergessen. Nur wenige erinnern sich heute noch an „More than A Feelin“. Ein bisschen ist dieser Song Teil des „Soundtracks meines eigenen Lebens“ geworden.
„No Synthesizer Used“ stand heute zwar nirgends. Dennoch bedienten sich die Bands allesamt nur der E-Gitarre, dem Bass, dem Schlagzeug und letzlich noch der Stimme. Es wurde ein Rock-Cocktail gemixt, der auf alle geschmacksfördernden Zusatzstoffe, meist süsse Ingredienzen, gänzlich verzichtet.
Die wenigsten Stücke dürften sich in das Gedächtnis einbrennen. Zu ungeschliffen sind sie – Massentauglichkeit sieht anders aus.
Bei allen Bands wird schließlich klar Position bezogen – genau gegen ein solches Attribut des stromlinienförmigen Angepasst-Seins. Sie haben dennoch ihre Anhänger. In den einschlägigen sozialen Netzwerken sogar deutlich mehr als mancher deutscher Politiker.
Und dennoch ging es heute Abend im Schweinfurter Stattbahnhof bestimmt ganz anders zu als am vergangenen Dienstagabend mit Horst Seehofer im Münchner P1. Er hatte letztlich den Edelclub auch nicht im erwarteten hohen Ausmass füllen können. Seine Mission war dabei zweifellos die „Massentauglichkeit“. Diese ist keineswegs ein Gradmesser für Qualität, schließt sie allerdings auch nicht aus. Freuen wir uns ganz einfach über die Vielfalt, die die Rockmusik nach Jahrzehnten noch immer zu bieten hat.
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