Wolf Biermann Re:Imagined – Lieder für jetzt! (Vinyl)

Wolf Biermann Re Imagined Lieder fuer jetzt 2024 Clouds Hill

© Wolf-Biermann_Re_Imagined_Lieder-fuer-jetzt_2024_Clouds-Hill

Various Artists

Album: Wolf Biermann Re:Imagined – Lieder für jetzt!
Format: Vinyl, CD, Digital
VÖ: 15.11.2024
Label/Vertrieb: Clouds Hill (Warner Music)
Links:

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Rezension (Album)

@ Clouds Hill Presents Wolf Biermann Ein Konzert im Thalia Theater Hamburg am 13.11.2024

@-Clouds-Hill-Presents_Wolf-Biermann-Ein-Konzert-im-Thalia-Theater-Hamburg-am-13.11.2024

Der Countdown zum Release des Albums

Wolf Biermann wird morgen 88 Jahre alt und die Vorbereitungen zur „Party“ laufen eigentlich schon seit Beginn des Jahres 2024.

Am 12.01.2024 wurde der erste Coversong des ebenfalls ab morgen erhältlichen Albums „Wolf Biermann – Re:Imagined – Lieder für jetzt!“ veröffentlicht.

Der Schweizer Songwriter und Produzent Tobias Jundt, aka Bonaparte, machte den Anfang. Er hatte sich „Ermutigung“ des streitbaren Liedermachers vorgenommen und interpretiert.


Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich ….

Wolf Biermann, Ermutigung (1968/1974)


Im Laufe des Jahres erschienen in loser Folge weitere Songs anderer Interpreten, die natürlich als Teaser auf das gemeinsame Album neugierig machen sollten.

Die komplette Kollektion aus 22 Songs liegt nun vor und folgt in ihrer Tracklist keineswegs der Reihenfolge der Vorab-Single-Veröffentlichungen.

Der Konzertabend „Zeiten verbinden“ am 13.11.2024 im Thalia Theater Hamburg

Gestern gab es dann im Thalia Theater Hamburg einen Konzertabend unter anderem mit Maxim, Torch, Albrecht Schrader & Charlotte Brandi, Moritz Krämer, Bonaparte, Das Bierbeben, Mola, Jan Plewka, Peter Licht, Lina Maly, Betterov, Van Holzen, Romano, Katharina Franck & Paul Eisenach und Haiyti.

Es muss dem Vernehmen nach ein in jeder Hinsicht bunter Abend gewesen sein, bei dem Wolf Biermann mit dem legendären Jazz-Duo Günter Baby Sommer & Ulrich Gumpert, fast Altersgenossen, musizierte.

Die Veröffentlichung des Albums am 15.11.2024

Für all diejenigen, die nicht dabei sein konnten, auch ich selbst zähle mich zu dieser Gruppe, ist das vorliegende Album jedenfalls nicht nur eine Empfehlung, sondern mehr noch eine Einladung, sich mit dem Liedgut von Wolf Biermann aus der aktuellen Perspektive zu beschäftigen.

Den sehr unterschiedlichen Interpreten gelingt es auf ihre jeweils eigene Art und Weise, sich mit dem Liedern des immer wieder auch Kontroversen auslösenden Wolf Biermann auseinanderzusetzen, sie sich gewissermaßen sogar anzueignen.

Der „Revoluzzer mit der Klampfe“, der Pendler zwischen West- und Ostdeutschland, der selten ein Blatt vor den Mund nahm (und nimmt), der immer auch Ecken und Kanten hatte, seine Meinungen änderte, dem man gelegentlich vorwarf, ein „Wendehals“ zu sein, lebt so in seinen Liedern weiter.

Er hat ein enormes Vermächtnis hinterlassen, das von Johann Scheerer erworben wurde und nunmehr von ihm verwaltet wird.

„Das kann doch nicht alles gewesen sein“…

… ist auf dem vorliegenden Album in zwei unterschiedlichen Versionen von Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee sowie von Betterov als „Lied vom donnernden Leben“ vertreten.


Das kann doch nicht alles gewesen sein
Das bisschen Sonntag und Kinderschrei’n
Das muss doch noch irgendwo hingeh’n, hingeh’n

Die Überstunden, das bisschen Kies
Und abends inne Glotze das Paradies
Darin kann ich doch keinen Sinn seh’n, Sinn seh’n

Das soll nun alles gewesen sein
Da muss doch noch irgendwas kommen, nein
Da muss doch noch Leben ins Leben, eben


He, Kumpel, wo bleibt da im Ernst mein Spaß?
Nur Schaffen und Raffen und Husten und Hass
Und dann noch den Löffel abgeben, eben

Das soll nun alles gewesen sein
Das bisschen Fußball und Führerschein
Das war nun das donnernde Leben, eben


Ich will noch ’n bisschen was Blaues seh’n
Und will noch paar eckige Runden dreh’n
Und dann erst den Löffel abgeben, eben

Wolf Biermann, Das kann doch nicht alles gewesen sein (1977)


Das wird sicherlich noch nicht alles gewesen sein!

Andere Editionen, auch Neuauflagen der originalen Alben, dürften demnächst folgen.

Wolf Biermanns Texte haben in unserer politisch und sozial aufgeladenen Zeit (leider) nichts an ihrer Brisanz verloren. Es geht am Ende immer um den Menschen, um seine Unzulänglichkeiten, seine Widersprüche, seinen Egoismus, seinen Narzissmus.

Ein Blick in die uns zur Verfügung stehenden Medien genügt, um zu erkennen, dass die Welt aus vielerlei Gründen aus den Fugen geraten scheint.

Ob Lieder daran etwas ändern können, ist fraglich. Aber sie regen immerhin zum Nachdenken und Träumen an.

© Gerald Langer


Pressemitteilungen

Wer ist Wolf Biermann

Wolf Biermann ist eine Ikone der deutschen Musik-Szene. Der Liedermacher ist bekannt für seine ausdrucksstarken und politisch motivierten Lieder, die das DDR-Regime herausforderten und dazu führten, dass er – in Deutschland erstmalig seit der Nazizeit – ausgebürgert wurde. Seine Texte, die heute noch so aktuell sind wie damals, machten ihn zum Symbol für Widerstand und Meinungsfreiheit, seine Songs inspirieren bis heute Generationen. Mit der Neuinterpretation von Biermanns Liedern will dieses Cover-Projekt das Werk zelebrieren und seine Musik einem neuen Publikum zugänglich machen.


Über das Coveralbum

Clouds Hill, das Hamburger Indie-Label um Produzent und Autor Johann Scheerer, hat die Rechte am Gesamtwerk Wolf Biermanns gekauft, das sich auf etwa 300 Lieder beläuft – mit dem Ziel, seine Musik wieder zugänglich zu machen.

Doch hier geht es nicht um eine Expansion des Labelkatalogs:

Wolf und Pamela Biermann haben im engen Dialog mit Johann Scheerer einen Plan entworfen, eine Brücke zu schlagen von Biermanns Werk in die heutige Zeit.

Ziel ist es, diese immer noch relevante Musik, die in einem von Krisen gebeutelten Europa heute aktueller denn je wirkt, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen für eine nachwachsende Generation. So wird im Clouds Hill-Studio in Hamburg intensiv an diversen Coverstücken gearbeitet, von denen noch viel zu hören sein wird.

Wolf Biermann, Zeuge und Protagonist einer turbulenten Zeit, hat sich stets lautstark zu Wort gemeldet, um seine Kritik an den herrschenden Zuständen zu äußern – und findet nun Unterstützung in einer jungen Generation, die künstlerisch durchaus geprägt ist vom Ton des 1936 in Hamburg geborenen Künstlers, der als junger Mann in die DDR übersiedelte, um später von ihr verstoßen zu werden: weil er sich auch dort nicht zensieren ließ!

Biermanns Relevanz zeigt sich nicht zuletzt in einer aktuell großen Retrospektive des Deutschen Historischen Museums, die nachvollziehbar macht, wie Biermann seit seinen ersten künstlerischen Erfolgen in den 1960er Jahren auch immer ein Seismograph seines Heimatlandes war, durch das sein Vater in Auschwitz ermordet wurde und zu dem er stets ein gespaltenes Verhältnis behalten hat.

Johann Scheerer sieht es somit fast als zwingend notwendig, eine Musik, die sich auch in einem emanzipatorischen Sinne an ein breites Publikum widmet, diesem auch wieder zugänglich zu machen – und durch das ambitionierte Coverprojekt in ein neues Scheinwerferlicht zu rücken. In einer Zeit, in der Europa von Kriegen geplagt ist und sich auch in Deutschland das politische Klima verschärft, braucht es diese Stimme mehr denn je.

Den Auftakt nun macht Bonaparte mit einer bemerkenswerten Version von Biermanns Stück „Ermutigung“ aus dem Jahre 1974 („aus dem Album „ahh-ja!“).

Text: Hendrik Otremba


Stellt man Wolf Biermann eine Frage, verhält es sich mit der Antwort wie mit einem Bumerang: Mit voller Kraft schleudert der bald 90-jährige Liedermacher, wach und agil, als sei er halb so alt (und dabei so weise wie das Doppelte an Jahren), die Frage in weitem Bogen von sich weg, macht sie zu einer Frage der ganzen Menschheit, schleudert sie durch Raum und Zeit, lässt sie über die Dinge fliegen, durch die Ereignisse schneiden, lässt sie in entlegenste Gedanken- und Geschichtswinkel vordringen, fremde Atmosphären erkunden, um sie schließlich, nach 20 Minuten Flug, als eine Antwort wieder aufzufangen, die eine Eindeutigkeit schuldig bleibt.

Und wenn er sie dann aus der Luft schnappt, die Antwort, als habe er ihre Position die ganze Zeit über ganz sicher gekannt, kommt er dabei auch wieder zu sich zurück, in die Gegenwart, hat so mit der Frage und von ihr merklich beflügelt, eine ganze Strecke zurückgelegt, die auch ihn wieder ein Stück weitergebracht hat – intellektuell wie auch emotional.

Man weiß dann mehr. Und gleichzeitig fragt man sich auch wieder mehr.

Biermanns fragende Antworten nämlich, die einen weiten Raum erkunden in ihrem Denken, sind niemals abschließend. Weitere Fragen folgen. Und Widersprüche drängen sich auf, fordern, dass man sie aushält, mit ihnen (zu) leben lernt.

Biermanns dialektischer Bumerang ist ein schleuderndes Denkmedium, das nur eines zum Ziel hat:

Eine bessere Welt für uns Menschen. So laboriert seine Auseinandersetzung mit dem, was gewesen ist, grundsätzlich immer auch: am Zukünftigen!

Letztlich hat es sich auch mit seinen Liedern immer schon so verhalten, die ja auch nicht viel mehr sind als schön klingende, poetische Fragen nach den Möglichkeiten eines besseren Lebens. Kraftvoll, in ihrer Materialität an Lebenserfahrung spürbar, schleudern sie durch die Atmosphäre, lebendig und lustvoll, zornig und kompromisslos. Intim und weltgewandt. Freundlich und verachtend.

Biermann, der große deutsche Liedermacher, virtuos an der Gitarre, hochbegabt an Sprache und Melodie, scheint wie Bob Dylan immer vom großen Ganzen zu erzählen, wenn er ein Stück schreibt, das dabei aber doch eben, wie bei Dylan, einen konkreten Gegenstand betrachtet, einem zwingenden Anlass folgt. Nur sind eben Gegenstand und Anlass komplex und immer und untrennbar mit dem großen Ganzen verknüpft.

Bis zum Aufschreiben (und der dann folgenden Aufnahme mit einfachsten Mitteln – erst mit Scheerer ging Biermann jüngst zum ersten Mal in ein professionelles Tonstudio) entstehen die Texte dabei auch in seinen Tagebüchern, die er seit über 60 Jahren führt und die wohl, sollten sie eines Tages eine historisierende Auswertung finden, das aufgebrachteste, herzlichste, witzigste, klügste und verrückteste Zeitdokument deutscher Nachkriegsgeschichte bieten dürften, das man sich vorstellen kann.

Doch eigentlich braucht es diese Auswertung nicht. Es ist ja alles da: in den Songs.

So stellt Biermanns über 300 Stücke zählendes musikalisches Werk ein maßgebliches Zeugnis des 20. und 21. Jahrhunderts dar, bis ins Jetzt, und zeigt dabei, dass die Kunst etwas kann, das keinem weiteren Medium vorbehalten ist:

Geschichte nämlich spürbar machen – und das auf eine Art, die auch die Gegenwart mit einbezieht.

Wie es dazu kommt, dass Biermann schreibt – oder: was passieren muss, damit er das tut, ist also nicht wirklich zu fassen. Doch es geschieht, zum Glück, und das noch immer. So sind in einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert Echokammern unserer Zivilisation entstanden, vielschichtige Stimmen, die bohrend nachfragen, die als einzig mögliches Heilmittel gegen die Angst nur die Hinwendung kennen, die stete Konfrontation. Stücke, die das Menschenleben feiern, und gleichzeitig wissen, wie verletzlich es ist. So gesehen, und das will schon etwas heißen, wird der Sinn einer solchen Stimme, der Stimme Wolf Biermanns, niemals erlöschen.

Zunächst ist es somit ein interessantes Experiment, das, angestoßen von Biermanns Frau Pamela, nun unter der vertrauensvollen Laboraufsicht Johann Scheerers stattfindet:

Was passiert, wenn man die Stücke Biermanns nimmt, deren Rechte Scheerers Label Clouds Hill, inklusive der Verlagsrechte, gerade allumfassend akquiriert hat (auch, um das Werk der historischen Figur Wolf Biermann zu pflegen), und sie gegenwärtigen Musikschaffenden in die Hände drückt, die einer jüngeren Generation angehören?

Für Johann Scheerer, philanthropisch geprägt, eine Frage, die vor der Bedeutung des Biermanschen Gesamtwerks nahezu gestellt werden musste:

»Mit den Coverstücken möchten wir einen einladenden Zugang gestalten, der sich an ein breites Publikum richtet und auch Menschen mit einbezieht, die noch nicht wissen, wer Wolf Biermann ist! Seine Musik ist wichtig, sie will und soll sich an ein möglichst breites Publikum richten. Dabei wollen wir helfen und gleichzeitig eine Werkpflege betreiben.«

Für die Biermanns und Scheerer gab es dabei, wie sich wohl erahnen lässt, gleich mehrere gute Gründe, dieses Mammutprojekt zu verfolgen:

Die musikalische Perspektive nämlich soll das Werk einmal losgelöst vom realpolitischen Zeitzeugen betrachten, dessen Ausbürgerung aus der DDR 1976 stets über seiner Rezeption steht – und dieser manchmal auch das Licht raubt.

Pamela: »Biermann als virtuoser Gitarrist, als Sänger, als Dichter. Als Musiker, durch und durch!«

So soll weitergetragen werden, was einer ganzen Generation von Nachkriegskindern im Westen wie im Osten Worte gegeben hat für ihre Kritik, ihre Skepsis, ihre Wut, ihre Liebe, soll einer jüngeren Generation zugänglich werden, die sich wieder im Protest übt, die aufbegehrt.

Denn relevant sind die Themen nach wie vor – und das Format des scharfsinnigen, aufgebrachten Liedes, das laut gesungen wird und kein Blatt vor dem Mund duldet, braucht es in der heutigen Welt mehr denn je! So stellt sich das Coveralbum, ganz im Sinne Biermanns poetischer Programmatik, auch nicht als Rückblick dar, sondern vielmehr als ein Transfer, ein Wuchern in die Zukunft. Musik als Ermutigung!

Ohne langes Zögern hat sich in diesem Bewusstsein eine große Schar gegenwärtiger Musikschaffender zusammengefunden, um sich seiner Werke anzunehmen, was Labelmacher Scheerer merklich begeistert:

»Das Projekt der Coverstücke ist eine Verneigung sowohl vor Biermann als auch vor den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern selbst.«

Und die Liste liest sich bereits jetzt sehr gut, gestaltet sie sich doch äußerst abwechslungsreich und vielschichtig: Moritz Krämer, Wolfgang Niedecken (BAP), Maxim, Torch, Romano, Albrecht Schrader & Charlotte Brandi, Alligatoah, Haiyti, Annett Louisan, Mola, Jan Plewka, Bonaparte, Ina Müller, Das Bierbeben, Betterov, Peter Licht, Balbina, Van Holzen, Ferris MC, Das Bo, Lina Maly, OK KID, Katharina Franck & Paul Eisen und die große Meret Becker!

»Mich hat vor allem auch interessiert: Wie klingt das, wenn Wolfs Texte etwa im Gewand eines Sprechgesangs performt werden?«, sagt Pamela Biermann. »Bisher hat sich ja niemand so wirklich an sein Werk gewagt – weil es eben eine starke Eigenart besitzt und weil er noch lebt.« So ist das Coverprojekt auch eine Einladung, will Hürden abbauen, das Soziale in der Musik starkmachen, das Miteinander.

Und es funktioniert:

Die Songs, die sich die Musikschaffenden aus über 300 Stücken ausgesucht haben, lassen Biermann ganz klar erkennen – in seiner Sprachkunst, seinem erzählerischen Ton. Gleichzeitig aber werden sie zu den Stücken ihrer Interpreten, offenbaren in den neuen Versionen so, wie Biermanns Art zu schreiben immer auch eine Sprache bemüht, die die Sprache der Leute ist.

Auch stilistisch lassen sie eine breite Variation zu. Egal ob im Spoken Word-artigen Stile eines Torch (»Von den Menschen«) oder im schmachtenden Singsang der Annett Louisan (»So soll es sein«), im hysterischen Tempo Maxims (»Billanzballade im dreißigsten Jahr«) oder der theatralen Verspieltheit Charlotte Brandis, die hier mit Albrecht Schrader zusammenarbeitet (»Pardon«): Biermann funktioniert, lässt sich um-singen, anders singen, lässt sich interpretieren, adaptieren. Wenn Alligatoah sich etwa des »Hugenottenfriedhofs« annimmt, strahlt da eine Lebendigkeit, die sicher auch vom Interpreten begünstigt wird, Gewiss aber schon aus dem Wesen des Verfassers stammt.

Schön zu beobachten ist dabei, wie Biermanns Stücke in den Interpretationen die Luft einer anderen Zeit atmen können, wie etwa bei Meret Beckers betörender Version von »Stillepenn Schlufflied«, sie andererseits hochgradig contemporary zu wirken vermögen, wenn etwa Balbina sich dem Stück »Soldat, Soldat« annimmt – und hier wird deutlich: gegen den Krieg opponieren, das wird mit diesen Menschen, die sich in ihrem Wesen im Zeitraum von Urfassung und Interpretation kaum geändert zu haben scheinen, immer notwendig bleiben.

Beachtenswert, und auch ein ausgesprochener Anspruch Scheerers, ist dabei die Vielseitigkeit der Interpretationen, und einhergehend: die Verschiedenheit der Interpretierenden. So zeigt sich eine außerordentlich bekannte Ina Müller (»Bin mager nun und fühle mich«) souverän im modernen Chanson, während Underground-Legenden wie Das Bierbeben (»Vorfrühling«) freie Hand bekommen, ihrer dynamischen Vision Raum zu geben. Und solche, die ebenfalls Legenden sind, verneigen sich auf ihre Art.

Wenn etwa Wolfgang Niedecken ans Mikro tritt, um »Und als wir ans Ufer kamen« zu singen, begegnen sich dort zwei Giganten. Pamela Biermann unterstreicht auch in dieser Hinsicht, wie passend sie das Hamburger Independent Label für dieses Großprojekt findet: »Clouds Hill, das bedeutet Eigensinnigkeit. Die handeln im eigenen Auftrag, aus voller Überzeugung!«

So kommt ein großes Werk zu einer großen Würdigung, und der Chor der prominenten und eigensinnigen Stimmen, die sich dieser einzigartigen Musik angenommen hat, trägt weiter, was Biermann noch heute auszeichnet: Fragen stellen! Skeptisch bleiben! Kritik frei heraus äußern! Gegen die Angst arbeiten! Sie singen von der Notwendigkeit, den Finger in die Wunde zu legen. Oder, mit Biermanns Worten, als Auftrag formuliert:

»Man muss immer zu weit gehen. Auch, um herauszufinden, wo man steht!«

Hier nun gehen einige der spannendsten Kunstschaffenden der Gegenwart so weit, dass sie glanzvoll und souverän zeigen können, wie groß und wichtig Wolf Biermann ist – um mit ihm gemeinsam dann noch ein Stück weiter zu gehen …

Text: Hendrik Otremba


Die Single-Auskopplungen

Bonaparte: „Ermutigung“

Bonaparte über sein Cover:
„Das Lied „Ermutigung” war für meinen Vater als Mensch und Liedermacher ein wichtiges Werk, und ich habe dieses bewusst auch ihm zu Ehren ausgewählt. Wenn jemand es schafft, durch das Singen von Liedern sowohl die Liebe der Menschen wie auch und den Hass der sie Regierenden zu erzeugen, dann zeigt sich in seinem Werk die Wichtigkeit und Kraft der Kunst.“

Warum ist Wolf Biermann deiner Meinung nach immer noch aktuell?
„Wenn Musik Regime stürzen kann, mit Worten und Melodien treffen kann, wo die bleierne Munition nichts mehr bewirkt, dann müssen wir nicht über seine Aktualität diskutieren – gleichzeitig berührt mich das Lied aber auch einfach als eine zeitlose Melodie und mit einem immer wieder aktuellen und lebensbejahenden Text. Die Bezeichnungen und die Schauplätze und die Akteure ändern sich vielleicht über Zeit, aber die Wichtigkeit darüber zu Singen bleibt immer aktuell.” 


Maxim: Bilanzballade im dreißigsten Jahr“ 

Maxim über sein Cover
„Ich glaube, der Song ist immer noch aktuelle, textlich auch musikalisch. Er tritt nach oben. Das finde ich generell gut bei Musik. Musik muss mutig sein. Ich finde ihn rotzig. Das gefällt mir, auch wenn es nicht alles so clean und poliert ist, wie das heute teilweise der Fall ist. Deswegen habe ich das in unserer Version auch versucht, so beizubehalten.“ 

Warum ist Wolf Biermann Deiner Meinung nach immer noch aktuell?
„Ja, ich denke, dass es immer noch sehr wichtig ist, die Musik von Wolf Biermann zu hören. Ich finde, sie mahnt vor vielen Fehlern, die wir auch heute noch begehen.“


Ina Müller: “Bin mager nun und fühle mich”  

Ina Müller über ihr Cover
„Mein Lieblingslied von Biermann ist „Bin mager nun, und fühle mich“. Als die Anfrage kam, witterte ich sofort die Chance, den Song so zu interpretieren, wie ich ihn lange schon im Kopf habe.“

Warum ist Wolf Biermann Deiner Meinung nach immer noch aktuell? „Alles, was Biermann politisch oder sozialkritisch in seinen Texten früher schon so großartig auf den Punkt gebracht hat, ist heute ja leider noch relevanter, als zu der Zeit, als ich mich in den 80ern und 90ern aktiv mit seinen Texten und Übersetzungen beschäftigt habe. Ich wünschte, es wäre nicht so!“


Alligatoah: „Der Hugenottenfriedhof” 

Alligatoah über sein Cover
„Als mein Vater so alt war, wie ich ist er mit seiner Gitarre durch Westdeutschland gezogen und hat Wolf Biermann Lieder vor kleinem Publikum gesungen. Das Lied zu covern ist für mich also in erster Linie eine Hommage an meinen Vater. Natürlich kam ich so auch früh mit Biermanns Werk in Berührung aber den „Hugenottenfriedhof“ habe ich erst jetzt entdeckt. Ich gebe zu, dass ich nicht jede Referenz in den Strophen verstehe, aber die Refrainzeilen sprechen mir aus der Seele und die Auseinandersetzung mit dem Tod ist mir in meinen eigenen Liedern wohl vertraut.“

Warum ist Wolf Biermann Deiner Meinung nach immer noch aktuell? „Biermann ist in meiner Wahrnehmung jemand, der energisch hinter einer Sache steht und trotzdem lautstark gegen ihre falsche Umsetzung protestiert. Genau diese Mentalität ist heute selten geworden aber dringend nötig.“


Betterov: „Lied vom donnernden Leben”

Bettrov über sein Cover
„Wolf Biermann ist für mich nicht nur Musiker, sondern auch Zeitgeschichte. Was er mit seinen Texten, seiner Musik und seinem Aktivismus geschaffen hat ist unglaublich im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Musik und seine Texte begleiten mich schon sehr lange und ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut, eines seiner Lieder neu interpretieren zu dürfen.“


Haiyti: „Am Alex an der Weltzeituhr” 

Haiyti über ihr Cover
„Ich sehe viele Parallelen zwischen mir und Biermann. Auch ich bin Hamburgerin und nach Berlin umgezogen. Er ist ein Freigeist und Brückenbauer und mir daher sympathisch. Ich finde seine Songs sind sehr ehrlich geschrieben und dafür schätze ich Liedermacher. Die Bilder, die er malt, sind wunderbar.“

Warum ist Wolf Biermann deiner Meinung nach immer noch aktuell?
„Auch heutzutage gibt es Denunzianten, Verräter, Petzer und Besserwisser die Macht über andere ausüben. Fängt an auf dem Bürgersteig, verweilt in der Musikindustrie und endet in der Politik. Biermann hat sich nie an Gefälligkeit orientiert. Da sollten sich mal andere Musikschaffende eine Scheibe abschneiden!“


Mola: „Enfant perdu”

Mola über ihr Cover
„Biermann hat mich immer wieder gestreift in meinem Leben, in Form von seiner Musik oder vor ein paar Jahren habe ich einen tollen Film über ihn gesehen. Ich hatte ihn irgendwie immer auf dem Schirm und als ich die Anfrage für dieses Projekt bekam, dachte ich mir: Große Ehre! Und wollte auf jeden Fall dabei sein.“

Warum ist Wolf Biermann deiner Meinung nach immer noch aktuell?
„Ich glaube, Biermann bleibt immer aktuell, weil es damals wie heute für Künstler:innen ganz schön mutig ist, politisch Stellung zu beziehen. Gerade popkulturell sind die Leute damit oft eher zurückhaltend, weil man Angst hat, jemandem damit auf die Füße zu treten. Wolf Biermann hat Mut gezeigt hat und seine politische Haltung geäußert. Er ist damals ein großes Vorbild dafür gewesen, dass man sich traut auch seine Meinung in Kunstform zu äußern – und er ist es heute auch immer noch.“


Lina Maly: „Das Barlach-Lied” 

Lina Maly über ihr Cover
„Dieses ganze Projekt finde ich so wichtig und so schön, weil wir den Beitrag von Wolf Biermann zu unserer Kultur würdigen. Er hat in meinen Augen sehr starke Text geschrieben und hat sich nicht kleingemacht, sonder immer auf politische und gesellschaftliche Probleme hingewiesen. Auf seine ganz, ganz eigene Art. Und ich finde diese Art, wie er Texte geschrieben hat sehr beeindrucken und berührend.“

Warum ist Wolf Biermann deiner Meinung nach immer noch aktuell?
„Als ich mich mit dem ganzen Repertoire von Wolf Biermann auseinandergesetzt habe, ist mir eines ganz besonders aufgefallen: und zwar wie sehr mich seine Texte berühren und wie zeitlos diese sind. Auch wenn diese in den 60ern/70ern/80ern geschrieben wurden, habe ich mich mit jeder Phase seines Schaffens identifizieren können. Mit der Art wie er Dinge formuliert hat, hat er damals die Lager gespalten und sehr polarisiert. Aber deswegen ist er wahrscheinlich auch heute noch so aktuell, weil er kein Blatt vor den Mund genommen und sich getraut hat alles zu sagen, was er wollte. Ich finde das sehr, sehr beeindruckend.


OK Kid: „Warte nicht auf beßre Zeiten”

OK Kid über ihr Cover
„Wir haben als Band noch nie wirklich eine Coverversion von anderen KünstlerInnen gemacht. Als wir gefragt wurden, ob wir bei dem Projekt mitmachen möchten, fanden wir den Gedanken spannend, Musik, die aus einer anderen Ära und aus einem Mindset kommt, zu nehmen und in unsere Welt zu übersetzen. Noch dazu in einem Setting wie dem Clouds Hill Studio, das an sich ja schon sehr inspirierend ist. Und dass so viele andere tolle KünstlerInnen mit dabei sind, macht das Ganze noch spannender.“

Warum ist Wolf Biermann eurer Meinung nach immer noch aktuell?
„Gerade in der heutigen Zeit fehlt es speziell im Musikkosmos an Stimmen, die eine klare Haltung vertreten und es dabei gleichzeitig schaffen, Menschen zu vereinen. Biermann hat das geschafft, durch seine Ehrlichkeit und das An- und Aussprechen von Problemen der Gesellschaft und den eigenen Befindlichkeiten damit. So nahbar und gleichzeitig eindeutig und meinungsstark zu sein, schaffen nur wenige, dabei wäre es in Zeiten des Rechtsrucks und der zunehmenden Spaltung wichtiger denn je.“


Tracklist

  • Moritz Krämer: Fallen die Blätter der Rose
  • Mola: Enfant perdu
  • Haiyti: Am Alex an der Weltzeituhr
  • Jan Plewka & Die Schwarz-Rote Heilsarmee: Das kann doch nicht alles gewesen sein
  • Alligatoah: Der Hugenottenfriedhof
  • Balbina: Soldat, Soldat
  • Romano: Kunststück
  • Das Bierbeben: Vorfrühling
  • Peter Licht: Und wir hatten keine Höhle
  • Lina Maly: Das Barlach-Lied
  • Ina Müller: Bin mager nun und fühle mich
  • Albrecht Schrader & Charlotte Brandi: Pardon
  • Van Holzen: Wann ist denn endlich Frieden
  • OK Kid: Warte nicht auf bessre Zeiten
  • Betterov: Lied vom donnernden Leben
  • Bonaparte: Ermutigung
  • Katharina Franck & Paul Eisenach: Ballade vom preußischen Ikarus
  • Maxim: Bilanzballade im dreißigsten Jahr
  • Torch: Von den Menschen
  • Annett Louisan: So soll es sein – so wird es sein
  • Wolfgang Niedecken: Und als wir ans Ufer kamen
  • Meret Becker: Stillepenn Schlufflied

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Inhalt:

LP1: Various Artists „Wolf Biermann RE: IMAGINED – Lieder für jetzt!“ (inkl. Postkarten-Bogen)
LP2: Wolf Biermann & Friends „Ermutigung“ (inkl. Art-Print)*
LP3 & 4: Wolf Biermann „Chausseestraße 131“ (Re-Issue mit modernisiertem Artwork, inkl. Art-Print)
LP5: Wolf Biermann „Warte nicht auf beßre Zeiten“ (Re-Issue mit modernisiertem Artwork, inkl. Art-Print)
Sticker-Bogen*
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Lied vom donnernden Leben auf YouTube

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