Ray Wilson Acoustic Band
Datum: 31.10.2011
Venue: Rathaushalle Haßfurt am Main
Autor/Fotograf: Gerald Langer
Inhalt
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen auf music2web.de
Konzertbericht
„Genesis Unplugged“ im Caesars Palace
Haßfurt am Main (Gerald Langer für music2web.de) „Ray Wilson – Genesis Unplugged“ – so wurde das Konzert des Schotten aus der Stadt Dumfries, in der vor über zweihundert Jahren der in England hoch geschätzte und kultisch verehrte Schriftsteller Robert Burns lebte, am Abend des Reformationstages in der Rathaushalle von Haßfurt am Main angekündigt.
In der laufenden Saison ist Ray Wilson in unterschiedlichen Formationen unterwegs. Ein Musiker, der seinen Platz scheinbar noch nicht gefunden hat und noch immer auf der Suche ist. Das jüngst erschienene reichhaltige Ton- und Bildträgerpaket „Ray Wilson – Genesis vs Stiltskin“ legt darüber Zeugnis ab.
Zum dritten Mal ist er bereits in der unterfränkischen Kreisstadt zu Gast. Letztes Jahr noch vom Berlin Symphony Ensemble unterstützt, wird er dieses Mal lediglich von seinem Bruder Steve Wilson an der Akustikgitarre und Filip Walcerz am Piano begleitet.
„Weniger ist mehr“ – dieses Oxymoron des Architekten Mies van der Rohe sollte sich an diesem Abend einmal mehr bestätigen.
Es erscheint mir wichtig, dem Leser dieser Zeilen nicht zu verschweigen, dass mich die Musik der Band Genesis seit Mitte der 1970er Jahre beschäftigt, ich den damaligen Ausstieg von Peter Gabriel, ihrem charismatischen Sänger, im Jahre 1975 als mittlere Katastrophe empfunden habe, was mich aber dennoch nicht davon abhielt, in den Folgejahren Tonträger der britischen Progressive-Rock-Band, (vor allem auch von deren Solisten), immer wieder aufs Neue zu erwerben.
Keine dieser Band-Platten war jemals richtig übel, richtiges Gänsehaut-Feeling kam allerdings bei mir immer seltener auf. Die Seele der Songs ging mehr und mehr unter dem bombastischen Sound und Klangteppich der Band verloren. Eben „Music for the masses“, Rock und Pop für die ganz großen Musikarenen dieser Welt.
Mitte der 1990er Jahre zog sich auch noch Phil Collins aus der Band zurück, die drei Jahrzehnte andauernde Genese schien – endlich – abgeschlossen. Doch die verbliebenen Bandmitglieder Mike Rutherford und Tony Banks wollten trotzig weitermachen und suchten nach einem passenden Sänger. Ihre Wahl fiel damals auf Ray Wilson, den Frontmann der nicht sonderlich bekannten Band Stiltskin. Dies war sehr wohl eine gute Wahl, doch der kommerzielle Erfolg des Albums „Calling All Stations“ leider weltweit nicht so durchschlagend wie einst zu den goldenen und platinen Zeiten der Band.
Calling All Stations war für mich damals quasi die Wiedergeburt der über Jahrzehnte gehuldigten Band. Die Stimme von Ray Wilson passte hervorragend zu den neuen Stücken, die allerdings überwiegend noch allein von Rutherford und Banks geschrieben wurden. Weitere Alben hatte man zwar schon im Visier, doch daraus wurde dann leider nichts mehr. Die Kollaboration löste sich schließlich im Jahre 1999 auf. Die Altvorderen Rutherford und Banks waren zu sehr vom Erfolg verwöhnt, als dass sie sich nochmals neu motivieren konnten, den Dampfer „Genesis“ wieder richtig flott zu machen.
Der zu diesem Zeitpunkt gerade dreißigjährige und hoch motivierte Ray Wilson musste sich mit all seinen Wünschen und Träumen also wieder neu orientieren.
Von der Musik der Band Genesis und den Solokarrieren der Bandmitglieder ist er seitdem nachhaltig infiziert. Entscheidend für uns Hörer ist jedoch – wie geht jemand mit dieser „Krankheit“ und damit der Vergangenheitsbewältigung um?
Ray Wilson muss man bescheinigen, dass er sich mit dem äußerst umfangreichen Oeuvre von Genesis sehr sensibel auseinandersetzt. Dies gelingt ihm in der rein akustischen Triobesetzung auch an diesem Abend absolut überzeugend. Insbesondere das intensive und gefühlvolle Spiel von Filip Walcerz lässt die fein bearbeiteten Originale geradezu im Raum schweben. Eine Wonne, ihm bei der Tastenarbeit zuzusehen.
Das Programm ist dabei breit gefächert und schließt glücklicherweise auch eigene Stücke ein:
1st Set
- 1. Change (Ray Wilson)
- 2. Follow You Follow Me (Genesis)
- 3. Not About Us (Genesis)
- 4. Another Day In Paradise (Phil Collins)
- 5. First Day Of Change (Stiltskin)
- 6. Another Cup Of Coffee (Mike & The Mechanics)
- 7. Carpet Crawlers (Genesis)
- 8. Tale From A Small Town (Stiltskin)
- 9. Mama (Genesis)
2nd Set
- 10. That’s All (Genesis)
- 11. Jesus He Knows Me (Genesis)
- 12. Shipwrecked (Genesis)
- 13. The 7th Day (Stiltskin)
- 14. One (U2)
- 15. Ripples (Genesis)
- 16. Sarah (Ray Wilson)
- 17. Land Of Confusion (Genesis)
- 18. Invisible Touch (Genesis)
- 19. More Than Just A Memory (Stiltskin)
- 20. No Son Of Mine (Genesis)
- 21. Airport Song – Madness In Malaga (Guaranteed Pure)
Encore
- 22. Solsbury Hill (Peter Gabriel)
- 23. In The Air Tonight (Phil Collins)
Die Umsetzung in die Unplugged-Versionen führt regelrecht zur Entschlackung des häufig instrumental überladenen Vermächtnisses der Rockdinosaurier. Ray Wilson legt mit seiner angenehm rauchigen Stimme, die selten übertreibt, den Kern der meisten Songs aus der Collins-Ära derart offen, dass sich seine Coverversionen dem Original mindest ebenbürtig erweisen.
Die von Ray Wilson gewählte Therapieform darf soweit als erfolgreich bezeichnet werden.
Er fühlt sich wohl im restlos ausverkauften „Caesars Palace von Haßfurt“, scherzt mit dem Publikum („you are easy to please“), das ihn frenetisch feiert und kündigt bereits sein nächstes Konzert im Oktober des Folgejahres an.
Die meisten Konzertbesucher dürften sich dann wieder in den neuerlich geadelten Hallen von Haßfurt einfinden. Ich persönlich hoffe, dass er sich bis dahin – bei aller Wertschätzung seiner bisherigen Arbeit – wesentlich stärker von Genesis löst und noch viel intensiver sein eigenes musikalisches Werk mit seiner Band Stiltskin verfolgt. Mit deren Songs hat er jetzt mich infiziert.
Was dürfen wir bloß von jemanden erwarten, der auf die Rückseite des Booklets zur aktuellen CD „Unfulfillment“ schreibt: „Stay inspired and always unfulfilled“?
© Gerald Langer (31-10-2011) für music2web.de