Nils Landgren: Kurhaus Baden-Baden 2016 (Live)

Nils Landgren

Datum: 17.03.2016
Venue: Kurhaus Baden-Baden
Show: Mr M’s Jazzclub
Website
Autor/Fotograf: Jörg Neuner

Konzertbericht

The Man with the Red Horn erhält den Joachim-Ernst-Berendt-Preis 

Baden-Baden (music-on-net) – Tradition kommt mitunter mit einer Staubschicht daher und ist darunter gerne auch schon mal erstarrt. Bei einer wiederbelebten Tradition hat vielleicht jemand Wohlmeinendes die Schicht weggeblasen oder aber auch etwas gänzlich Verschütt Gegangenes wieder ausgegraben. So ein Wohlmeinender ist Mr. M, – Marc Marshall – der mit seinem Jazz Club an die Jazz-Tradition im Baden-Baden des vergangenen Jahrhunderts anknüpft. Und das ist nicht nur ein starrer Abguss für die Glasvitrine. Das kleine, feine Festival lebt und pulsiert, es entwickelt sich weiter. Das zeigt sich nach der neunten Auflage zum einen an den immer namhafteren Künstlern auf dem Plakat. Zum anderen wird aber auch immer weiter am Format gefeilt.

Bei der 5. Ausgabe 2012 wurde zum ersten Mal der Joachim-Ernst-Berendt-Preis der Stadt Baden-Baden verliehen. Bislang wurde der vor dem Festival und hinter den Kulissen vergeben. Anlässlich der fünften Verleihung dieses Jazz-Awards findet die Ehrung nun erstmals am ersten Abend des Festivals vor dem Publikum statt.

Das hat im aktuellen Fall den Nachteil, dass es recht lange dauert, bis der erste Ton erklingt. Denn der Laudator Siggi Loch ist dem geehrten Künstler seit über 20 Jahren eng verbunden und hat entsprechend viel zu erzählen; von der musikalischen wie auch der menschlichen Qualität des „Man with the Red Horn“. Und den Namensgeber des Preises, den Jazz-Pabst „JEB“, hat er noch persönlich gekannt und in Baden-Baden besucht. Dessen Jazzbuch, gekauft 1956, hat er sogar dabei.

Die öffentliche Verleihung hat aber den Vorteil, dass das Publikum nicht nur den Preis zu sehen bekommt – eine Skulptur des Künstlers Markus Lüppertz – sondern auch die Ergriffenheit von Nils Landgren. Viele Auszeichnungen hat er bereits erhalten, darunter mehrere German Jazz Awards und schwedische Grammies. In seiner kurzen Dankesrede in praktisch akzentfreiem Deutsch lässt er erkennen, dass diese Ehrung eine besondere ist. Schließlich gilt auch sein Bemühen nicht nur der eigenen Musik, sondern der engagierten Förderung von Nachwuchs-Talenten und der Organisation von Musik-Festivals – ganz im Behrendt‘schen Sinne.

Nachdem dann auch Baden-Badens Oberbürgermeisterin die Freude über die zunehmenden Jazz-Aktivitäten in ihrer Stadt zum Ausdruck gebracht hat, dürfen nun die mit den Hufen scharrenden Musiker auf die Bühne. Der erste Song ist dann auch gleich ein energiegeladener Blues von Landgrens Ex-Kollege Joe Sample von den Crusaders. Und sein Markenzeichen, die rote Yamaha-Posaune, brettert gleich ein ungeduldiges Solo. Als wäre sie kein Musikinstrument, sondern eine ungestüme Zweitakt-Maschine aus gleichem Hause, die im Frühjahr zum ersten Mal auf die Straße darf.

Sein zweites Markenzeichen erleben wir auch gleich in der Auftaktnummer: nach seinem Solo nimmt sich der Meister ganz zurück und jedes Bandmitglied stellt sich solistisch selber vor. Christian Studnitzky wirbelt an den Tasten des Steinway-Flügels. Bruno Müller rockt die halbakustische Gibson-Gitarre. Bandleader Christian von Kaphengst duelliert sich mit Robert Mehmet Sinan Ikiz, dem Drummer aus Landgrens eigener Band Funk Unit. Und am Saxophon agiert kein geringerer als Peter Weniger, Direktor des Jazz-Instituts Berlin.

Danach wird es ruhiger, das Schlagzeug einfühlsamer und Landgrens samtige Stimme steht im Vordergrund. Als nächstes ein Crossover-Klassiker: Leon Russells Song This Masquerade, der in den 70ern gleichzeitig die Charts von Pop, Jazz und R&B angeführt hat. Angereichert per Posaune mit ordentlich Speed und Funk.

Das aktuelle Album some other time ist ein Tribute an Leonard Bernstein und dessen Gedanke, dass die Musik die universelle Antwort auf alle Gewalt ist. Daraus ertönt Somewhere, es wird wieder ruhig. Mikro statt Posaune, viel Raum für Träume.

Draußen wird es zwar gerade Frühling, aber hier drinnen wirbeln Autumn Leafs über die Bühne; Peter Weniger spielt den kraftvollen Laubbläser. Die nächste Nummer bekommt dann einen kompletten kleinen Bläsersatz spendiert, denn Studnitzky zaubert mal eben noch eine Trompete aus dem Flügel hervor. Zu dritt gibt es dann kein Halten für das Blech…

Der Gastgeber erwischt im Wechsel der Tempi einen der ruhigeren Parts. Das Duett Landgren-Marshall knüpft wieder an die Bernstein’sche Philosophie an mit John Lennons Imagine; Arm in Arm gesungen.

Gleich anschließend wird deutlich, dass sich beim Publikum wohl auch etwas Bewegungsdrang aufgestaut hat – nach der sehr ausführlichen Laudatio hatte auch Landgren selbst noch einigen Sprechanteil zur Einleitung seiner Stücke und auch darüber hinaus zu seiner Arbeit für die Musik. Deshalb braucht er jetzt niemandem lange zu erklären, dass langes Sitzen ungesund sei. Die ersten Takte von Sex Machine reißen schlagartig alle von den Stühlen und bis in die letzten Tischreihen wird gegroovt und gerockt. Die Musiker müssen aufpassen, dass sie nicht vom roten Horn umgemäht werden. Ja, so kann es zugehen im beschaulichen Baden-Baden.

Was soll jetzt noch als Zugabe kommen – die natürlich sofort eingefordert wird nach dem etwas abrupten Ende.

Landgren kommt wieder auf die Bühne. Alleine mit „der Roten“. Ist nochmal überwältigt von seiner Ehrung. Kündigt sein Lieblingsvolkslied aus Schweden an.

Das Lied spielt im Wald – passt ja auch zu Baden-Baden.

Ruhige, dunkle Waldtöne entweichen „der Roten“, Nebel über dem Wasser, etwas Röhrendes setzt sich durch – ein Elch röhrt. Smoke On The Water?!?

BANG!! aus der „doppelläufigen Roten“!

Den Trichter hatte er schon abgenommen, zieht dann blitzartig den Zug des Instruments auseinander, so dass es kracht. Bläst das Ende des Elches nur noch auf dem Mundstück und dann auf den blanken Lippen.

„Die Rote“ wird sorgfältig wieder zusammengesteckt.

Verbeugung. Abgang Landgren.


Nils Landgren



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