Ray Wilson & Genesis Classic Quartett
Datum: 03.11.2012
Venue: Stadthalle Haßfurt am Main
Autor/Fotograf: Gerald Langer
Inhalt
Konzertbericht
Wenn Genesis zum Hamsterrad wird
Haßfurt (music-on-net) Ray Wilson ist ein gern gesehener Gast in Haßfurt. Mehrere Konzerte in unterschiedlichen Formationen hat er hier bereits gegeben. Der aktuelle Auftritt musste aufgrund der großen Nachfrage von der Rathaushalle in die Stadthalle Haßfurt umverlegt werden und ist somit sold out.
Motto des Abends: „Ray Wilson – Genesis Classic“
Dies suggeriert zunächst, dass wir einen Abend randvoll gefüllt mit Klassikern der englischen Prog-Rock-Legende erwarten dürfen.
Nur für ein kurzes Gastspiel, nämlich beim Album Calling All Stations aus dem Jahr 1997, war Ray Wilson als Sänger der Band mit dabei. Für mich selbst war dieses Album ein Lichtblick, vor allem verbunden mit der Hoffnung, dass die einstige Superband nun doch in dieser Besetzung ohne Phil Collins wieder etwas mehr musikalisch wagen würde. Dies war jedoch ein Trugschluss – das Projekt Genesis schlief danach leider sehr schnell ein.
Ray Wilson schlägt sich nunmehr seit Jahren als Solo-Künstler mit eigener Band, als Frontmann von Stiltskin oder in verschiedenen anderen, das Oeuvre von Genesis huldigenden, Formationen durch sein sehr aktives, von einer unglaublichen Vielzahl von Tourneen geprägtes, Musikerleben. Das für heute Abend angekündigte Klassik-Quartett sieht anders aus, als im Vorfeld publiziert. Es gibt eine Umbesetzung am Flügel, die sicherlich zu keinem konzertantem Qualitätsverlust führt.
Auch das Versprechen, mit seinem neuen Projekt „GENESIS Classic“ die erfolgreichsten Hits von Genesis auf großer Bühne in Originalversion „unplugged“ zu spielen, die klassischen Keyboard-Sequenzen (allein) durch Streicher-Arrangements zu ersetzen, wird jedoch nicht nicht ganz eingelöst. Mitunter werden einzelne Keyboard-Sequenzen bei genauem Hinhören – wie ein Additiv – eingespielt.
Der thematische Zusammenhalt des – inklusive der Zugaben – dreiteiligen Sets ist wider Erwarten einiger Zuhörer ebenso nicht durch die Band Genesis gegeben, sondern vielmehr geprägt von der bisherigen Schaffensphase des mittlerweile 44-jährigen Ray Wilson.
Viele Coverversionen
Er streut viel, sehr viel, ein an Coverversionen von Mike & The Mechanics, Phil Collins, und Peter Gabriel. Selbstverständlich wird auch einiges seiner Band Stiltskin präsentiert. Seine Stimme ist so variabel und hat so viel Wärme, dass sie natürlich eine solch enorme Bandbreite an Songs scheinbar mühelos abdecken kann.
Doch wo viel Licht ist, gibt es zwangsläufig auch etwas Schatten.
Während ihm ein akustisches Solsbury Hill mühelos als eine dem Original durchaus ebenbürtige Interpretation gelingt, kann ich diesen Höreindruck bei der ernsten, politisch motivierten, Hymne an Steven Biko nicht bestätigen. Dieser Song verliert spürbar an der ihm ansonsten eigenen unglaublichen Intensität, die sonst regelmäßig zu Gänsehaut führt. Die klagende, flehende (Original-)Stimme von Peter Gabriel, gepaart mit einem trockenen – zunächst bewusst monotonen – Schlagzeugspiel eines Jerry Marotta oder Manu Katche widersetzen sich einer Unplugged-Version von Ray Wilson zunächst hartnäckig. Ray wird von seinem älteren Bruder Steve stimmlich unterstützt. Es gelingt den beiden, in der Schlussphase den Song auch wieder einigermaßen auf Spur zu bringen, die stimmlichen Grenzen für Ray Wilson werden hier beispielhaft, aber genauso schonungslos, aufgezeigt.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass ihm Interpretationen von Genesis-Material aus der sogenannten „Phil-Collins-Ära“ live am überzeugendsten gelingen. Dies wundert mich selbst etwas, hatte ich Ray‘s Stimme doch der von Peter Gabriel auf dem Album Calling All Stations als sehr ähnlich empfunden.
Die zweite Halbzeit ist die stärkere
Das zweite einstündige Set, sozusagen die zweite Halbzeit, ist für mich zweifellos die stärkere.
Herausragende Interpretationen von That‘s All und Land Of Confusion. Endlich wird den beiden Violinistinnen und dem Konzertflügel der Raum gegeben, der im ersten Set noch fehlte. Beide Stücke gewinnen sogar gegenüber dem Original. Auch Ripples, Entangled, Invisible Touch ( mit zwei Akustikgitarren), selbst Mama sind hervorragende Umsetzungen von Material, das zum Teil – sage und schreibe – schon über dreißig Jahre alt ist.
Als Zugabe wird ein fünfzehnminütiges Medley serviert, das unter anderem Bob Dylan‘s Blowing In The Wind, Leonard Cohen‘s First We Take Manhattan, Neil Young‘s Down To The River und Bruce Springsteen‘s (The Boss) I‘m On Fire enthält. Eine würdige und sehr gelungene Verneigung vor großen Künstlern.
Ray Wilson hat uns mit seinem – nicht ganz klassischen – Quartett über zwei Stunden bestens unterhalten. Ein Jahr nach seinem letzten Auftritt in Hassfurt komme ich allerdings wieder zu ein und demselben Schluss.
Der Schotte, der zur Zeit in Polen lebt, hat mittlerweile genügend überzeugendes eigenes Songmaterial in petto. Er sollte unbedingt den Mut haben, alsbald seinen eigenen Weg weiter zu gehen. Sonst droht er in einigen Jahren – vollkommen unnötig – auf der Stelle zu treten.
Ich selbst blicke nach vorne und hoffe auf ein Wiedersehen mit Ray Wilson und seiner Band Stiltskin, am besten wieder in Haßfurt. Der eine oder andere Song von Genesis im Zugabenteil als Dessert darf selbstverständlich auch dabei sein.