Bluegrass Festival Bühl 2017: Tag 1

Bluegrass Festival Bühl 2017

Datum: 19.05.2017
Venue: Bühl – Josef Oechsle, Lagerhalle
Show: Bluegrass Festival Bühl – Tag 1
Website
Autor/Fotograf: Jörg Neuner


Festivalbericht

Jussi Syren & The Groundbreakers (FIN) & The Dead South (CAN) Bluegrass classic – und nicht ganz so klassisch

Bühl (music-on-net) Das Festival ist nicht tot – es lebe das Festival. Für die 15. Ausgabe wird die Organisation von Patrick Fuchs, dem Sohn von Country-Godfather Walter, erfolgreich weitergeführt. Das wirtschaftliche Überleben wird seit einigen Jahren von einem Sponsor unterstützt, der nun erstmals auch die Location für den Eröffnungsabend stellt.

Die Lagerhalle des Landmaschinen-Handels gibt dabei einen passenden Rahmen zur ländlichen Musik, das Schleppdach vor dem offenen Rolltor sorgt mit Übergang nach draußen für eine lockerere Atmosphäre. Am Bier- und Pizzastand ist immer Leben, man kann mal quatschen, eine rauchen; Bluegrass war ursprünglich auch nicht für den bestuhlten und geschlossenen Konzertsaal gemacht, sondern für Feste und den Tanz am Samstagabend. Da wären wir also wieder – jedenfalls fast, ist ja erst Freitag.

Trotzdem ist der Schuppen ausverkauft. Die Stammgäste finden sich in den wenigen Stuhlreihen, dahinter tummelt sich auffallend viel Publikum auch jüngeren Datums – möglicherweise Neugierige, die an dieser Stelle schon andere Konzerte besucht haben. Aber wohl auch einige Fans des Top-Acts heute Abend, der in Deutschland offensichtlich auch schon außerhalb der Country-Schublade Beachtung findet.

Bluegrass-Festivals sind oft ein kleiner Querschnitt durch die Ursprünge der modernen Pop-Musik. Da gibt es die Vertreter der reinen Lehre – der Geist von Urvater Bill Monroe wacht mit strengem Arrangement über Musiker, Instrumentierung und Attitude. Das oberste Gebot heißt dabei: nur akustische Saiteninstrumente. Das ist eine wunderbar bodenständige Einrichtung, von der sich immer wieder auch etablierte Musikgrößen erden lassen, wenn ihnen das überproduzierte Chart-Music-Business mit all seinen Soundeffekten, Dubs und Loops auf den Zeiger geht.

Dann gibt es die Gruppen, die noch ein bisschen weiter zurückgehen. Die lassen aufleben, was in die Musik des weißen Mannes in der Neuen Welt so eingeflossen ist; also so ziemlich alle europäischen Musik-Stile. Das hört man dann hier und da heraus, oder das Repertoire entspringt mehr oder weniger der entsprechenden Tradition und wird als Bluegrass arrangiert.

Und dann wären da noch die, die das alles nicht so ernst nehmen – aber in den Elementen des Bluegrass puristische Inspiration finden, um einen Riesenspaß zu haben. Und die das Genre damit inspirieren, am Leben halten, und für frisches Publikum besorgen. Heute Abend werden wir von allem etwas mitbekommen.

Den Anfang macht die Band aus Finnland, deren klare Philosophie es ist, NICHTS Neues zu erfinden. Jussi Syren & The Groundbreakers sind eine Größe im europäischen Bluegrass und stehen auf der Bühne wie dereinst Bill: Alle in Reihe an ihren Mikros, der Bass dahinter, alle recht ernsthaft. Lediglich die Hüte und der Fiddler fehlen. Und die Stimme von Syren ist nicht ganz so high and lonesome – sie liegt eher so bei Jerry Reed. Die Spielweise der Band ist ganz klassisch gehalten: Syren macht die Ansagen, gibt mit der Mandoline den Takt vor und lässt die Kollegen in jedem Lied ihre Soli spielen.

Und die sind wie gewohnt im Bluegrass brillant auf ihren Instrumenten: Tauri Oksala mit dem Banjo und J. P. Putkonen an der Gitarre, Kari Hella am Bass hält sich eher bedeckt, was Soli angeht. 

Das Gegenstück zum Solo ist der mehrstimmige Gesang am zentralen Mikro, und der wird bei den Groundbreakers ebenfalls gepflegt. Für den Refrain scharen sich Oksala und Putkonen um Syrens Mikro; zu viert sind sie nur bei den A-Capella-Stücken, die es genauso gibt wie Instrumentals.

Die Themen der Songs basieren auf Geschichten aus dem normalen Leben, handeln von der unerhörten Liebsten, der harten Arbeit und guten Freunden. Purismus heißt dabei nicht, dass es öde zugeht. Mandoline und Banjo treiben mit Ihrem Rhythmus die Lieder ordentlich an und der Gesang kann es an Speed durchaus mit einem guten Rapper aufnehmen. Da gibt es einen Hauch Honkytonk in Your Old Standby,  in Syrens Stomp geht es in Richtung Rockabilly. Langsamer geht es beim Shenandoah Waltz zu oder bei dem anderen Dominierenden Thema im Bluegrass, dem Gospel: The Good Lord ist immer für einen Song gut, wie Where Shall I Be.   

Draußen kann man derweil schon mal ein Schwätzchen mit der nächsten Band halten, die sich am Bierstand warm läuft. The Dead South waren bereits letztes Jahr in Bühl und wurden vom Publikum heftigst wieder gewünscht. Sie haben mittlerweile das zweite Album am Start und am Merchandising-Stand findet sich das nicht nur als CD sondern auch in Vinyl – nebst dem gesamten Programm an Shirts, Caps und Beanies bis hin zum Flachmann. Die Truppe ist auch schon deutlich teurer als im Vorjahr, lässt Patrick Fuchs durchblicken.

Dead South bezieht sich auf den Süden Kanadas, wo die Band herkommt. Wenn es da wirklich so tot sein sollte, dann wird diese Gegend um Regina in Saskatchewan mittlerweile kräftig aufgemischt. Trotz exakt gleicher Besetzung wie Jussis Groundbreakers werden jetzt komplett andere Saiten aufgezogen – und zwar so ein bis zwei pro Song. Nate Hilts und Scott Pringle haben einen solchen  Saiten-Verschleiß an der Mandoline und den zwei Gitarren, dass sie bei einigen Liedern ohne dastehen, weil der Roadie nicht nachkommt.

Soll heißen, Vollgas aus dem Stand. Die erste Nummer,  Boots, hat ein paar gemächliche Intro-Takte und tritt dann gleich in den Hintern – sofort sind die verdächtig Jungen aus dem Publikum an den Bühnenseiten in Bewegung und ertanzen sich heftig mehr Raum. Ein stampfender Beat ist das eine, was The Dead South auszeichnet; die Stiefel hämmern den Takt in die Bühne, dazu erlauben sich die Kanadier die künstlerische Freiheit, eine kleine, aber gemeine Bass-Drum einzusetzen. Speedmaster Pringle steckt sich zudem noch ein Tamburin an den Stiefel. Das andere Markenzeichen ist Hilts rauhe Stimme, die heute schon mindestens ein Konzert hinter sich zu haben scheint – immer kurz vor dem Überschlag.

Auch das Banjo hat seinen Anteil am treibenden Sound. Nicht zuletzt die prägnanten Riffs von Eliza Doyle sorgen zusammen mit der Mandoline für die klassische Bluegrass-Basis des Repertoires. Ansonsten findet sich vieles, was aus Richtung Finnischer Polka kommt wie in The Recap. Bei Deadman‘s Isle fallen einem sofort irische Trinklieder ein. Überhaupt sind viele Song-Themen recht hochprozentig und für das Intro zu In Hell I’ll Be In Good Company kommen sogar Bierdosen zum Einsatz. Dabei bleibt es nicht – von einem Hardcore-Fan, mit dem sie letztes Mal schon rege gequatscht haben, bekommen sie noch eine Runde Schnaps auf die Bühne gereicht.

Neben ungewohnten Accessoires fallen kleine Choreographien à la ZZ-Top auf, die dem Ganzen in Verbindung mit Pringles Hinterwäldler-Grizzly-Look einen herrlich skurrilen Touch gibt. Ebenso schräg sind immer wieder die Tempiwechsel – aus eben noch treibend wird im nächsten Moment schleppend oder aus vollem Galopp geht es in die Eisen, auch mal bis zum kompletten Stillstand für 10 Sekunden. Richtig langsame Nummer gibt es eigentlich nur eine – in Massacre Of El Kuroke darf der Bass die tragende Rolle spielen.

Ansonsten hat der es schwer, sich akustisch durchzusetzen. Um mit der Dynamik mitzuhalten, hat sich Erik Mehlsen – er ersetzt dieses Jahr den verhinderten Colton Crawford – ein Cello umgehängt und spielt es wie einen E-Bass. Das sieht besonders spannend aus, wenn er ihn mit dem Bogen streicht. Auch Eliza Doyle war letztes Jahr nicht dabei, sie ist für den ebenfalls verhinderten Daniel Kenyon eingesprungen. Sie ist eine feste Größe in der Folkszene und man sieht ihr an, dass es ihr mit den Jungs unbändigen Spaß macht. Nebenbei tritt sie der kleinen Trommel ordentlich aufs Fell.

Nach zwei Zugaben – die Tänzer sind kein bisschen müde und toben jetzt direkt vor der Bühne hin und her – wird es Zeit für den traditionellen Abschluss des Abends: das Finale mit allen Bands. Man einigt sich auf die unvermeidliche Maybelle-Carter-Gedächtnis-Hymne May The Circle Be Unbroken – aber irgendwie kommt der Circle nicht so ganz in Schwung. Bis auf ein kleines Techtelmechtel der Banjos spielen Finnen und Kanadier nebeneinander her … und verschwinden danach von der Bühne.

Jetzt passiert das Noch-nie-Dagewesene: Das Publikum gibt nicht auf und holt The Dead South nochmal zurück. Für House Of The Rising Sun gibt es nochmal volle Pulle, vor der Bühne rockt alles … und Hilts fliegen die letzten beiden Saiten des Abends um die Ohren.

Sensationelle Live-Band, einfach ein Erlebnis. Country … egal. Anhören.


Setlist | The Dead South

Set 1

  • Boots
  • Every Man Needs A Chew
  • Deadman’s Isle
  • The Recap
  • In Hell I’ll Be In Good Company
  • Banjo Odysee
  • Achilles
  • The Dead South

Set 2

  • Smootchin’ In The Ditch
  • Dirty Juice
  • Time For Crawlin’
  • Massacre Of El Kuroke
  • The Good Lord
  • Miss Mary
  • One Armed Man
  • The Bastard Son
  • Gunslinger
  • Honey You

Encore

  • Long Gone
  • Travellin’ Man
  • The House Of The Rising Sun

The Dead South – Tourdaten 2017

  • 23.5. München, Ampere/Muffatwerk
  • 24.5. Nürnberg, Muzclub
  • 25.5. Leipzig, UT Connewitz
  • 26.5. Magdeburg, Kulturzentrum Moritzhof
  • 27.5. Radebeul, Karl May Fest
  • 28.5. Mannheim, Kulturbrücken Jungbusch
  • 29.5. Köln, Yardclub / Die Kantine
  • 30.5. Münster, Gleis 22
  • 1.6. Wuppertal, Utopiastadt
  • 2.6. Hannover, Bei Chez Heinz
  • 3.6. Bremen, Karton
  • 4.6. Hamburg, ?
  • 5.6. Lüchow, Kulturelle Landpartie
  • 6.6. Rostock, Helgas Kitchen
  • 9.6. Berlin, Bi Nuu
  • 10.6. Hamburg, About Songs Festival
  • 20.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg

Jussyi Syren & The Groundbreakers



The Dead South



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